Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#26 Bevor du anfängst, zu glauben

Wenn ich noch nicht glauben würde, was würde mich nach Glaube suchen lassen?
Wenn ich keine Gemeinschaft von gläubigen Menschen um mich hätte, was würde mich dazu bringen, mich zu interessieren und Kontakt aufzunehmen ‒ zu gläubigen Menschen oder gar zu einer Kirche?
Ich bin schon lange dabei, und vielleicht gerade deshalb reizt mich diese Überlegung.

Also probiere ich das heute mal aus. Ich werde Kathrin erst widersprechen, ein wenig nur, und dann mache ich einen Gegenvorschlag.

Höre diesen Text als Podcast:

Nicht nur auf das Ende des Glaubens schauen…

Ich teile die Traurigkeit und Sorge, wenn Menschen ihren Glauben beenden oder ihrer Kirche den Rücken kehren. Das ist immer deprimierend:

Was mir so wichtig ist, was mir an Glaube hilfreich ist im Leben, da sagt mir jemand, dass dies unwichtig oder bedeutungslos für ihn oder sie geworden ist. Wenn ich ein Austrittsschreiben auf den Tisch bekomme, dann denke ich «Schade».

Reisende soll man nicht aufhalten. Und die meisten, die ihren Glauben ablegen oder aus ihrer Kirche austreten, haben ja schon einen längeren Entscheidungsprozess hinter sich.

Ich frage mich dann, ob ein Gespräch vorab geholfen hätte, das ein oder andere Argument, das Zuhören, sich bewusst machen, was ich da aufgebe und verliere. Viele in den Kirchen machen sich Gedanken darum. Manche Versuche werden auch unternommen da gegenzusteuern. ↗

Ich frage mich, ob diese Versuche helfen. Reisende soll man nicht aufhalten. Und die meisten, die ihren Glauben ablegen oder aus ihrer Kirche austreten, haben ja schon einen längeren Entscheidungsprozess hinter sich.

Soll ich da am Ausgang stehen und sagen:

Soll ich am Ausgang stehen und den, der sich entschieden hat, nicht mehr zu glauben, nochmals umzustimmen versuchen, oder verständnisvoll dessen Entscheidung für den Kirchenaustritt respektieren?

Soll ich am Ausgang stehen und den, der sich entschieden hat, nochmals umzustimmen versuchen, oder verständnisvoll dessen Entscheidung respektieren?

Egal, wie ich reagiere, ich habe es einfach noch nie erlebt, dass jemand an diesem Punkt nochmals seine Meinung ändert.

Ich befürchte eher, das sind Alibiübungen, im Sinne von: Schau, wir haben doch versucht, etwas dagegen zu tun, aber es hat halt nicht sein sollen.

Mein Bedauern über das Schwinden von Glauben, meine Sorge über Kirchenaustritte bleibt mir. Also stelle ich mir die Frage, ob wir da nicht aufs falsche Pferd setzen.

Ich mag deshalb nicht länger den Ausgang belagern, sondern lieber schauen, ob ich meine Sorge, meine Kraft nicht eher dem Eingang zuwenden sollte. Ich interessiere mich da weniger für eine backdoor-Strategie, lieber mag ich eine frontdoor-Strategie.

… sondern auf den Anfang des Glaubens schauen!

Also stelle ich mir mal die Fragen:

  • Was könnte mich denn dazu bringen, mich neu für den Glauben zu interessieren?
  • Was könnte ganz frisch die Neugier auf Gott in mir wecken?
  •  Was könnte so attraktiv sein, dass ich bei der Kirche an die Eingangstür klopfe?

Stell dir Folgendes vor: Du fährst mit dem Auto am Sonntagmorgen auf den Parkplatz einer Kirche. Du schaust dich um nach einem freien Platz, und du bist schon spät dran, fast kein freier Platz mehr. Aber da, direkt vorne beim Eingang, ist der beste Platz frei, extra für Leute wie dich. Die Letzten bekommen hier die ersten Parkplätze. Du suchst zuerst die Toilette. Du folgst der Beschilderung, die Türen sind offen, alles sauber. Dann gehst du in den Eingangsbereich. Keine Informationsflut schlägt dir da entgegen, sondern ein paar wenige Informationen, was du hier erwarten darf: etwas über Gott, über Glaube, über Gebet. Jesus und Bibel.

Du kommst in diese Kirche hinein, eine angenehme Atmosphäre, freundliche Blicke, ermutigend und nicht aufdringlich. Die Versammelten strahlen etwas Offenes, Wertschätzendes, Gemeinsames aus. Das ist generationenübergreifend und kinderfreundlich. Was gesagt wird, erscheint dir verständlich, authentisch und lebenstauglich. Ein paar Lieder werden gesungen, gut gesungen, schön begleitet, so dass du die Melodie aufgreifen kann und ab der dritten Strophe mitsingst. Ab da fühlst du dich irgendwie dazugehörig.

Eine Frage der Haltung

Nun, das ist wohl eher Ideal als Wirklichkeit. Wenn das ein Kirchentest wäre, dann würden nur sehr wenige Kirchen diesen Test bestehen. Bei vielen Kirchen ist in der Einflugzone noch sehr viel Luft nach oben.

Und da geht es weniger um Räumlichkeiten, sondern eher um Menschen, weniger um Brauchtum oder was schon immer so war, sondern eher um Haltungen.

Damit ich Interesse bekomme für eine Kirche, um eventuell irgendwann dort einzutreten, möchte ich den Eindruck vorab gewinnen, dass ich da gehört und gesehen werde, dass ich ernst genommen werde, nicht vorschnell vereinnahmt werde, dass man mir mit meinen Bedürfnissen entgegenkommt.

Ich schätze eine positive, achtsame Umgebung, zeitgemäss und aufstellend. Das sind die Vorbedingungen, die mir wichtig sind, bevor ich auf eine Kirche neu zugehe.

Warum interessieren sich Menschen für Glaube und Kirche?

Allerdings, um mich neu mit Glauben zu befassen, braucht es da nochmals einen anderen Zugang.

Was müsste geschehen, was müsste ich tun, um von Grund auf, von Anfang an Interesse zu entwickeln?

Nun hatte ich vor ein paar Tagen die Gelegenheit, in einer Runde von Menschen dabei zu sein, die in der Tat einen Neustart in Sachen Glaube probieren. Sieben Personen erzählen da, warum sie diese Gelegenheit für sich nutzen wollen, sich selbst im Glauben neu zu orientieren.

  • Einige kommen in diese Runde, weil sie sich als Erwachsene taufen lassen wollen.
  • Einige tragen mit sich den Gedanken, die Konfession oder auch die Religion zu wechseln.
  • Mehrere erzählen von Zeiten, in denen der Glaube für sie schlichtweg keine Bedeutung hatte.
  • Einige in der Runde sind auf ihrer spirituellen Suche, angetrieben von einer Sehnsucht, geleitet von einer Intuition, dass sie hier richtig sind oder dass für sie die Zeit gekommen ist, da einen Schritt zu tun.
  • Die einen wollen für sich endlich klären, wie Glaubenspraxis denn wirklich geht, die anderen praktizieren schon längst ihren Glauben und ziehen daraus jetzt die Konsequenz.

Da ist also der Wunsch nach Orientierung, und fast immer gibt es da Menschen, durch die Glaube interessant wird.

Fast immer gibt es irgendwo einen gläubigen Menschen, der eine gute Art hat zu glauben und diesen Glauben praktiziert.

Da sind Menschen, Beziehungen, Begegnungen, die fragen lassen, ob es jetzt Zeit ist, mit dem Glauben anzufangen.

Eine Person war in dieser Runde, bloss um eine andere zu begleiten. Sie war gewöhnlich religiös aufgewachsen, hatte alle Sakramente absolviert, und sie meinte, sie müsse gar nichts von sich erzählen, das sei langweilig. Ich kam mir da auch langweilig vor, aber eben, weil dieses neue Interesse, diese Aufbrüche einfach spannend sind. Das ist wie der Start einer Entdeckungsreise in unbekanntes Land. Das ist spannend.

Da ist also der Wunsch nach Orientierung, und fast immer gibt es da Menschen, durch die Glaube interessant wird.

Fazit: Es sind Menschen, die…

Wenn ich also eine Antwort suche auf die Fragen, was mich nach Glaube suchen lassen würde, dann wäre das vielleicht der Wunsch nach Orientierung, meine spirituelle Suche oder Intuition, auch Themen wie Frieden oder Liebe oder Ewigkeit.

Aber vor allem, vor allem anderen, sind es Menschen, die mein Interesse wecken, Menschen, die mir wichtig sind, eben auch gläubige Menschen, die vernünftig, authentisch, alltagstauglich, vertrauensvoll, herzlich glauben.

Es sind Menschen, die mir in ihrer Hoffnung etwas voraus sind, die mich in Sachen Glauben anfangen lassen.

Die nächste Podcastfolge mit Kathrin hörst du am 15. Februar.

Dir alles Gute und Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.