Ich leg mich in die Kurve, ich kriege so eben noch die Kurve, ich kratze die Kurve, ich schiesse über die Kurve hinaus. Wenn ich gelegentlich – noch – mit dem Auto unterwegs bin, dann gibt mir mein Fahrstil manches Lehrstück über das Leben. Dann gibt mir eine Strassenkurve eine Sprache, um manche Erfahrung in Worte zu packen.
Kürzlich ist mir das untergekommen. Gleich mehrere redeten mir gegenüber von der «Jesus-Kurve». Ich kannte diesen Ausdruck noch nicht, obwohl er schon seit geraumer Zeit unterwegs ist. Kathrin hat in unserer vorigen Folge so eine Kurve gekratzt.
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Was ist also mit der «Jesus-Kurve» gemeint? Ich stelle mir vor, ich gehe in eine Kirche. Ich nehme nach längerer Zeit wieder einmal an einem Gottesdienst teil. Wir singen und beten gemeinsam, hören aus der Bibel Gottes Worte, brechen Brot des Himmels, schütten Gott unser Herz aus und lassen uns Gottes Segen zusprechen. Und jemand vorne predigt, ergreift das Wort, um die biblische Geschichte zu erläutern, um biblische Erzählung für heute anzuwenden.
Nun passiert es, dass da vorne jemand von allem Möglichen erzählt: von Fussball und Pizza, von Krieg und Klima, von Achtsamkeit und Liebe und Sinn des Lebens. Und ganz am Ende der Rede taucht dann auch noch Jesus auf.
Jesus hat dies und das dazu gesagt, hat so und so gehandelt, und deswegen hat Jesus mit all dem, was unser Leben mit Schönem und Schrecklichen erfüllt, auch noch zu tun.
Das wäre die «Jesus-Kurve»: gegen Ende so eben noch die Kurve kriegen, damit unser Jesus da auch noch irgendwie mit zu tun bekommt.
Heute möchte ich darüber sprechen:
- warum ich die «Jesus-Kurve» nicht mag
- warum ich die «Jesus-Kurve» eigentlich doch gut finde
- und zum Schluss werde ich mich heute mal für Jesus in die Kurve legen.
Warum ich die «Jesus-Kurve» nicht mag
Die «Jesus-Kurve» kommt mir als etwas künstlich Angehängtes vor. Das ist etwas unnötig Aufgesetztes. Eigentlich kann das weg. Das ist oder wirkt überflüssig. Nur weil man gerade in einer Kirche sitzt, nur weil wir gerade über Gott und Glaube sprechen, muss man ja nicht immer gegen Ende, wo doch eigentlich schon alles gesagt ist, noch mit Jesus daherkommen.
Jesus als Anhängsel, als Sahnehäubchen, das wird ihm selbst doch nicht gerecht.
Manchmal taucht diese «Jesus-Kurve» so plötzlich vor mir auf, so unverhofft, so unerwartet. Überraschung ‒ zu all dem Bisherigen hat Jesus auch noch etwas Wichtiges zu sagen! Das kommt mir etwas scheinheilig vor. Man tut so, als fiele einem soeben ein, dass Jesus überraschenderweise da auftaucht.

Das ist doch so, als würden wir gemeinsam einen Weg erkunden, manche Strecke dieses Lebens miteinander gehen, manches Auf und Ab unseres Alltags miteinander teilen ‒ und kurz vor dem Ziel stellen wir fest: Ziel des Weges ist Jesus. Wenn das dann Methode hat, wenn also jeder Weg gleichsam bei Jesus endet, dann ist das keine Überraschung.
Foto von Tim Mossholder ↗ auf Unsplash ↗
Ich stelle irgendwann plötzlich fest, dass das Ziel eines gemeinsamen Weges von jemandem von Anfang an festgelegt wurde. Da sage ich eher: «Schade», oder: «Nein, danke. Das mag ich nicht.»
Es ärgert mich, wenn mir vermittelt wird, Jesus wäre die Lösung für alles.
Jeder Weg endet bei ihm, jedes Problem findet bei ihm eine Lösung. Ich meine, dass Jesus für vieles wirklich gut ist, wenn es um Leben und Liebe, um Frieden und Versöhnung, um Gott und Glaube geht. Aber es gibt eben auch viel, wofür Jesus keine Lösung hat: so Sachen wie Fussball, Pizza oder wie ich vernünftig mit dem Auto die Kurve bewältige.

Das sind alles gute Gründe, warum ich die «Jesus-Kurve» nicht mag.
Warum ich die «Jesus-Kurve» mag
Aber heute bin ich ambivalent, also ein wenig hin- und hergerissen. Ich finde eben auch gute Gründe, warum ich die «Jesus-Kurve» mag.
Zunächst muss ich einräumen: Ohne Jesus wäre es doch auch komisch. Wenn ich am Sonntag in eine christliche Kirche gehe und wir beten und singen, hören von der Bibel, von Frieden und Segen – und wenn Jesus dort keine Rolle spielen würde, wäre das komisch.
Kirche ohne Jesus ist komisch. Das wäre wie Fussball ohne Tore, wie leere Teller in der Pizzeria. Diese Verbundenheit von Christen mit ihrem Christus ist normal. Das taucht nicht plötzlich auf, und dass Christinnen ihr Jesus wichtig ist, dass ist – hoffentlich – keine Überraschung.
Aber auch das Gegenteil wäre komisch: wenn die ganze Zeit nur von Jesus die Rede wäre. Ich stelle mir eine Rede, eine Predigt, einen Impuls vor, wo es hiesse: Jesus tut dies, Jesus tut das, Jesus geht und läuft, Jesus läuft über das Wasser, Jesus bricht Brot, Jesus leidet, Jesus steht auf, Jesus fährt auf. Das wäre auch ziemlich komisch.

Und genauso, wie Jesus vielleicht nicht für alle meine Probleme direkt die Lösung ist, so schätze ich durchaus, wenn er mir seine Lösung für mein Problem anbietet. Dass er das kann, das traue ich ihm gelegentlich zu.
Ich schätze die Verbundenheit zu Jesus, seine Offenheit für mein weltliches Zeug, seine Lösungen. Wenn ich eine Eigenheit an Jesus schätze, dann wohl seine Art, auf Menschen zuzugehen, auf einen einzugehen.
Die Bibel erzählt mir ziemlich viele Geschichten von Begegnungen, wie Jesus auf Menschen proaktiv zugeht. Er erzählt von einem Gott, der dem Menschen entgegenkommt, vor lauter Interesse am menschlichen Leben, vor lauter Liebe für diese komischen kleinen Geschöpfe. Wenn Entgegenkommen Jesu Eigenheit ist, dann taucht er vermutlich nicht erst ganz am Schluss auf, bevor ich da meine, eine Kurve kratzen zu müssen.

Eine klassische «Jesus-Kurve», performativ
Wie angekündigt mache ich jetzt noch eine «Jesus-Kurve». Das kommt nicht plötzlich, das ist keine Überraschung mehr.
Es gibt eine alte Sammlung mit Jesus-Sprüchen, die nicht in der Bibel auftaucht, und die mir dennoch sehr gefällt. Die Rede ist vom sogenannten Thomasevangelium. Ein Spruch daraus gefällt mir ganz besonders. Da heisst es, dass Jesus Folgendes sagt:
«Spalte ein Stück Holz und ich bin da. Hebe einen Stein auf, und du wirst mich finden.»
Manchmal fange ich bei Holz und Stein an, und irgendwann ende ich bei Jesus. Zum Ende hin schaffe ich diese Kurve richtig gut. Manchmal beschäftige ich mich lange mit Holz und Stein. Mal bleibt es dabei. Und gelegentlich dämmert mir, dass all meine Beschäftigungen mit Jesus zu tun haben. Dass dieser Jesus bei all meinen Beschäftigungen doch die ganze Zeit schon dabei ist. Und wenn es bloss Stein und Holz sind.
Für ihn hat es diese Kurve nicht gebraucht. Für mich manchmal schon.
Unseren nächsten Podcast hört Du hier dann ab dem 3. Juli – eine Spezialfolge als Sommergespräch mit Kathrin Bolt und mir!
Dir alles Gute & Gottes Segen!

Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 52-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.