Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 4 Minuten

#59 – Barfuss

Wann bist du zum letzten Mal barfuss gegangen?
Carsten hat in der letzten Folge über die Bedeutung von Schuhen nachgedacht. Und am Ende festgestellt: Es geht auch barfuss!
Und ja: Es geht auch barfuss!

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Wobei das so leicht dahingesagt ist. Denn: Wann gehen wir bewusst barfuss, abgesehen von wenigen Schritten zu Hause im Schlafzimmer oder in den Strandferien im warmen Sand?
Hast du in den letzten Jahren schon einmal gesagt: «Heute lasse ich die Schuhe zu Hause und mache mich barfuss auf den Weg?»

Als ich noch ein Kind war, ging ich oft barfuss.

In Wildhaus, so heisst das Bergdorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es eine Regel: Sobald im Freienalpbord keinen Schnee mehr liegt, darf man barfuss gehen!

Das Freienalpbord ist so auf halber Höhe zum Berg, auf dem wir im Winter Skifahren konnten. Wenn auf dieser Alp kein Schnee mehr lag, dann waren das noch keine sommerlichen Temperaturen. Aber immerhin: Die Sonne hatte den Schnee im Tal schon weggeschmolzen, sodass man dort – wenn man das wollte – barfuss gehen konnte.

Wobei: Ich glaube, ich musste meine Schuhe als Kind dann doch mitnehmen in die Schule. Zur Sicherheit. Aber es gab Kinder aus dem Dorf, die einen ziemlich weiten Schulweg hatten und von einem Bauernhof kamen, die im Frühling und Sommer meistens barfuss liefen.

Ein kleines Mädchen läuft barfuss über eine Wiese.
Ein kleines Mädchen läuft barfuss über eine Wiese. Foto von Kelly Sikkema ↗ auf Unsplash ↗

Barfuss gehen ist gesund

Und das ist gesund, habe ich gehört! Eine Orthopädin sagte, dass unser Fuss 60’000 Rezeptoren hat, wie so kleine Antennen, die Signale empfangen können.

Wenn wir unseren Fuss ohne Schuhe und ohne Socken auf die Erde, Moos, Steine oder eine geteerte Strasse absetzen, dann gibt dieser mit 60’000 Antennen Signale weiter an unser Gehirn!

Gut, bei uns Erwachsenen, die wir nun jahrelang nicht barfuss gegangen sind, sind es vermutlich ein paar Tausend weniger… Aber dennoch: Das Gehirn kann mit diesen Signalen ausgleichen, Balance schaffen und mithelfen, den Körper ins Lot zu bringen.

Das geht natürlich nur, solange unsere Füsse einigermassen gesund sind und nicht schmerzen. Aber – so wie ich die Orthopädin verstehe – würden unsere Füsse und unser Rücken vielleicht auch eher und länger gesund bleiben, wenn wir öfters barfuss gehen!

Barfuss gehen braucht Mut

Nur: Das braucht Zeit. Geduld. Und ich finde: Es braucht auch Mut!

Vor vier Jahren durfte ich eine kleine Auszeit machen, ein Bildungsurlaub. Ich habe mich für sogenannte Exerzitien, geistliche Übungen, entschieden.

Bei der Vorbereitung sagte meine Lehrerin zu mir: «Du wirst jeden Tag zwei, drei Stunden spazieren gehen.» Darauf freute ich mich sehr und dachte mir als Vorbereitung viele Routen aus, die ich von meinem Quartier aus bestreiten kann. Und dann, drei Tage vor Beginn, sagte die Lehrerin zu mir: «Geh barfuss!»

Im ersten Moment dachte ich: «Klar, coole Idee!»

Doch als es soweit war, merkte ich: Das ist für mich so ungewohnt und neu – und eben gar nicht so einfach.

Barfuss in der Stadt?!

Ich traute mich gar nicht, die ersten Schritte vor meiner Haustür barfuss zu gehen. Im eigenen Garten, das würde ja noch gehen. Aber durch die Strassen der Stadt barfuss zu gehen, wie sieht denn das aus? Wie eine, die ihre Schuhe vergessen hat? Oder eine, die auf esoterische Weise abgedriftet ist?

Bist du schon mal auf einer geteerten Strasse barfuss gegangen?

Ich weiss nicht, wie das bei dir aussieht: Bei mir jedenfalls verändern sich die Schritte und die Haltung. Ich habe eine andere Gangart, bewege mich unsicher, mache komische Verrenkungen und vor allem: Ich bin viel langsamer.

Eine erwachsene Person geht barfuss auf gepflastertem Untergrund. Foto von Matthias Gellissen auf Unsplash
Eine erwachsene Person geht barfuss auf gepflastertem Untergrund. Foto von Matthias Gellissen ↗ auf Unsplash ↗

Mit Schuhsohlen an den Füssen kann man ja problemlos über jedes Steinchen, rumliegende Blätter, kleine Äste, ja sogar Scherben oder tote Insekten gehen. Aber barfuss wird jedes Steinchen zur Herausforderung: Wo stelle ich meinen Fuss hin? Und wie behutsam muss ich ihn hinstellen, damit ich mich nicht verletze?

Barfuss gehen bedeutet: Schritt für Schritt gehen. Wahrnehmen. Achtsam sein.

Bei meinen geistlichen Übungen übersprang ich den ersten asphaltierten Weg oft mit dem Fahrrad, um schliesslich im Wald barfuss zu gehen. Da, wo ich mehr für mich allein war.

Auf steinigen Wegen

Auch Waldboden ist eine Herausforderung bei all den Wurzeln und Dornen und spitzigen Steinen. Aber oft auch eine Offenbarung!

  • Wie schön ist es, kalte Erde zu spüren! Oder nasses Gras.
  • Oder mal in ein kleines Bächlein zu stehen!
  • Wie befreiend ist es, zu merken, dass auch ein steiniger Weg mit genügend Geduld und Gelassenheit geschafft werden kann!

Im September 2021 ging ich vier Wochen lang jeden Tag barfuss. Bei Regen und Sonne. Ob warm oder kalt.

An einem sonnigen Tag habe ich bei einem meiner Lieblingsplätze in meiner Stadt St. Gallen diesen Text geschrieben:

Barfuss gehen
Behutsam den Fuss absetzen
Die Wahl haben zwischen trockener Erde
und nassem Gras
sich Zeit nehmen für die spitzigen Steine
keine Schuhsole zwischen uns
Dein Boden trägt

Ich glaube, dass es ein grosses Geschenk ist, dass unsere Füsse mit so viel Empfindsamkeit ausgestattet sind. Und ich finde, wir könnten unseren Füssen viel mehr Beachtung schenken!

Früher gingen die Menschen viel öfter barfuss, oder zumindest in offenen Schuhen.

In der Bibel wird erzählt, dass Jesus andern Menschen die Füsse wusch. Zu seiner Zeit war das ein Ritual der Gastfreundschaft.
Bild: Benvenuto Tisi, Jesus wäscht den Jüngern die Füsse, CC0, via Wikimedia Commons

In der Bibel wird erzählt, dass Jesus anderen Menschen die Füsse wusch. Zu seiner Zeit war das ein Ritual der Gastfreundschaft.
Bild: Benvenuto Tisi, Jesus wäscht den Jüngern die Füsse, CC0, via Wikimedia Commons ↗

Was für ein schönes Zeichen, jemandem diese Zuwendung zu schenken!
60’000 Rezeptoren, die das Wasser, die Berührung wahrnehmen können.

Wir müssen einander nicht gegenseitig die Füsse waschen, um diese Zuwendung zu spüren. Wir können uns das auch selbst schenken: Unseren «Fussabdruck» bewusst wahrnehmen, indem wir es wagen, immer mal wieder ein Stück barfuss zu gehen.

Barfuss gehen stärkt Körper und Geist

Die Orthopädin sagt, das hilft für die Balance im Körper!
Ich glaube, es hilft auch für die Balance im Geist: Weil wir langsamer werden. Achtsamer. Verbunden mit dem Boden und unserem Körper.

Und das Schöne ist: Danach braucht es eine Fusswaschung, vielleicht auch ein warmes Fussbad und eine duftende Creme, um die Füsse richtig schön und liebevoll zu pflegen.

Also – los geht’s: Zieh’ die Schuhe aus!

Den nächsten Podcast hörst du wieder mit Carsten am 19. Juni.

Bis dahin, mach`s gut und schau gut zu dir.

Portrait Kathrin Bolt

Kathrin Bolt

Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.