Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#55 – Karfreitag fühlen, Ostern hoffen

Die Welt tut weh. Vieles ist zum Verzweifeln. Und doch feiern wir bald Ostern – das Fest der Hoffnung. In dieser Folge spricht Kathrin über Empathie als Widerstandskraft, über verletzliche Körper und feministische Perspektiven auf Solidarität. Was, wenn wir den Weg von Karfreitag zu Ostern nicht mit Argumenten, sondern mit Mitgefühl gehen? Eine Einladung, hinzuspüren – und die Hoffnung nicht aufzugeben.

Höre diesen Text als Podcast:

Im Moment scheinen die Herren der Welt zu spinnen – Carsten hat es in der letzten Folge schon angetönt – und ich frage mich weiter: Was gibt uns noch Hoffnung für unsere Welt?

Wir stehen kurz vor Ostern, dem Fest der Freude und des Neubeginns – und müssen befürchten, dass wir im Karfreitag stehen bleiben.

Für diejenigen, die jetzt einen Crashkurs in Bibelgeschichte brauchen:

  • Karfreitag ist der Tag, an dem wir uns daran erinnern, dass Jesus gekreuzigt wurde. Also richtig brutal, mit Folter und Anspucken und Demütigung. Eine ganze Menschenmasse schrie: «Ans Kreuz mit ihm!»
  • Ostern schliesslich ist das Hoffnungsfest, an dem erzählt wird, wie Jüngerinnen und Jünger, die um Jesus trauerten, ein leeres Grab vorfanden und dann die frohe Nachricht hörten: «Jesus lebt! Seine Botschaft ist nicht gestorben! Er ist auferstanden. Da Leben geht weiter.»

Der Karfreitag ist also der Gedenktag des Leidens.
Und Ostern das Fest der Hoffnung!
Und beides geht nicht ohne Empathie.

Wir haben in den letzten Folgen viel über Empathie gesprochen, Carsten und ich. Darüber, wie wichtig es ist, das Mitgefühl anderen Menschen gegenüber nicht zu verlieren. Sich in andere hineinzuversetzen. Verbunden zu bleiben.

Eine Revolution der Verbundenheit – Franziska Schutzbach

Heute möchte ich das mit einer feministischen Perspektive vertiefen.
Ich habe am Anfang gesagt, dass die Herren der Welt spinnen! Und wenn die so weiterspinnen, dann wird das nichts mit Ostern, nichts mit Hoffnung.

Aber natürlich geben wir die Hoffnung nicht auf.

Eine Freundin hat mir als Reaktion auf den letzten Podcast ein Buch gezeigt: «Revolution der Verbundenheit» der Feministin und Soziologin Franziska Schutzbach.

Sie zeigt darin unter dem Stichwort «Solidarität und Verletzlichkeit», wie entscheidend unser verletzlicher, sterblicher Körper dafür ist, dass wir Empathie empfinden können. Es geht also nicht nur um Gefühl, um Herz und Seele, sondern ganz konkret um den Körper.

Durch unseren Körper haben wir alle eine Vorstellung davon, was Leiden ist.
Wir können uns vorstellen, wie weh es tut, wenn jemand ans Kreuz genagelt wird – weil wir körperlichen Schmerz selbst schon erlebt haben. Eine schwere Migräne. Ein gebrochenes Bein. Eine Geburt!

Unser verletzlicher Körper weiss, was Schmerz ist. Weiss, dass es unglaublich grausam und qualvoll ist, wenn jemand ausgepeitscht, an ein Kreuz genagelt, gefoltert oder vergewaltigt wird.

Jede und jeder von uns hat so einen verletzlichen Körper und weiss das! … Wenn uns nicht jemand ausreden würde, dass wir mitfühlende Wesen sind. Und dass andere Menschen genauso Menschen sind wie du und ich – egal, wie sie aussehen, sprechen, oder was sie glauben.

Tief in uns wissen wir: Es ist nicht richtig, wenn jemand gequält und erniedrigt wird.
Es kann nicht richtig sein, dass ganze Völker samt Kind und Kegel buchstäblich ausgerottet, vernichtet werden!

Tief in uns wissen wir: Es ist nicht richtig, wenn jemand gequält und erniedrigt wird.
Es kann nicht richtig sein, dass ganze Völker samt Kind und Kegel buchstäblich ausgerottet, vernichtet werden! Das ist der Karfreitag der Menschheit.
Foto von Christian Buehner ↗ auf Unsplash ↗

Wenn Menschen entmenschlicht werden

Rational gelingt es Menschen immer wieder, andere zu überzeugen, dass das, was passiert, schon richtig ist. Allein im kapitalistischen System werden Menschen bewusst gespalten statt verbunden:

  • In Arm und Reich.
  • In Mann und Frau.
  • In Schwarz und Weiss.

Der Fokus liegt nicht mehr auf der Verbundenheit, auf dem, was wir kennen und teilen, sondern auf der Trennung.
Mein Mitmensch wird so zur Gegnerin, zum Konkurrenten, zur potentiellen Bedrohung.

Wenn man das zu weit führt – und das machen rechte Kräfte in der Geschichte und heute immer wieder – geht es dahin, dass Menschen glauben, sie hätten Feinde. Bis hin zu dem, dass ein sogenannter «Führer» kommt, der sagt: Jetzt muss ich mal für Recht und Ordnung sorgen, weil da so viele schlechte Menschen sind, so viel Bedrohung ist!

Mit der Annahme, «der Mensch sei schlecht», ist plötzlich scheinbare Legitimation da, andere auszugrenzen, zu vernachlässigen oder gar zu vernichten.

Und noch schlimmer, als anzunehmen, andere Menschen seien schlecht und falsch, wird es, wenn man einen Menschen nicht mehr als Mensch sieht.
Sondern als Objekt. Als Maschine. Als etwas, über das man rational entscheiden kann, ob das jetzt noch Platz hat oder nicht. Ob das reinpasst oder nicht. Auf ein Objekt kann man viel einfacher schiessen als auf einen Menschen.

Wenn ich an die Art und Weise denke, wie heute weltweit politisch verhandelt wird, dann erleben wir diese Entmenschlichung leider an so vielen Orten: in Israel genauso wie in der Ukraine, in Amerika genauso wie in Teilen Afrikas.

Wie die Gewalt überwinden, wie von Karfreitag zu Ostern kommen?

Wie kommen wir einen Schritt weiter?
Wie kommen wir von Karfreitag zu Ostern?

Mit Sisterhood – Solidarität – Empathie. Mit Verbundenheit, die auf unserem verletzbaren Körper aufbaut, sagen die feministischen Denkerinnen.

Mit Empathie von Karfreitag auf Ostern zugehen: Franziska Schutzbach plädiert in ihrem Buch dafür, nicht mit rationalen Argumenten zu kämpfen, sondern beim verletzlichen Körper, der uns alle abhängig macht voneinander, anzufangen.

Franziska Schutzbach plädiert in ihrem Buch dafür, nicht mit rationalen Argumenten zu kämpfen, sondern beim verletzlichen Körper, der uns alle abhängig macht voneinander, anzufangen.

Sisterhood, Solidarität, Verbundenheit beginnt dort, wo wir die Verletzlichkeit anderer erkennen und anerkennen und das Vertrauen lernen, dass andere unsere Verletzlichkeit empfinden können.

Intuitiv haben wir eine grosse Abscheu, wenn wir lesen und hören, wie unmenschlich weltweit über Menschen gesprochen – und viel schlimmer noch – verfügt wird.

Diese Abscheu ist wichtig, sagt die Philosophin Dagmar Wilhelm, wir dürfen sie nicht verlieren. Wir können sie als Grundlage nehmen. Diese Abscheu verbindet nämlich viele Menschen, nicht nur ganz links und nicht nur Frauen. Auf dieser Grundlage könnten wir reden, fühlen, mobilisieren, die Welt neu denken.

Franziska Schutzbach schreibt: «Es gibt also eine Art, Glauben aneinander zu pflegen. Den Glauben daran, dass Menschen einander wohlgesonnen sein können».

Das ist ein Gegenprogramm zur rechten Politik, die Menschen zu Gegnerinnen und Feinden macht: Menschen können einander wohlgesonnen sein. Sie dürfen es. Sie sollen es.

Empathie über den Körper lernen

Die grosse Erkenntnis für mich persönlich bei der Lektüre von Franziska Schutzbach war, dass wir Empathie über unseren Körper lernen und weitergeben können.
Über das Wissen in unserem Körper, was Schmerz ist.

Unser Körper selbst weiss, dass es falsch und vor allem grauenhaft ist, ans Kreuz genagelt oder sonst gequält zu werden. Das holt die Empathie auf eine Ebene, die für alle zugänglich ist – solange sie nicht bewusst ausgeredet und abgehärtet wird.

An dieser Empathie können wir bauen:

Wir können mitbauen an einer «universalen Solidarität».

Wir können Menschen mobilisieren, empfindsam zu sein gegenüber der Leidensfähigkeit anderer und somit gleichzeitig die Hoffnung stärken auf eine Welt, in der gutes Leben für alle möglich ist.

Das ist Ostern. Verheissung. Hoffnung.

Foto von Andréas BRUN ↗ auf Unsplash ↗

Soviel für heute. Ich wünsche dir von Herzen frohe Ostern – und den Mut, auch den Karfreitag, das Leiden, auszuhalten, mitzufühlen, und die Abscheu dagegen zu fühlen. Damit du nicht abstumpfst. Die nächste Sternenglanz-Folge kommt am 24. April mit Carsten.

Bis dahin, mach`s gut und schau gut zu dir.

Portrait Kathrin Bolt

Kathrin Bolt

Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.