Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 4 Minuten

#54 Empathie stärken – trotz allem

Kathrin hat in der vorigen Folge vorgeschlagen, die Empathie zu stärken: die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen hineinzudenken, hineinzufühlen und zu spüren, wie es dem anderen gerade geht. An dem Punkt möchte ich heute anknüpfen. Heute sehe ich zunächst, warum Empathie bzw. ihr Fehlen gegenwärtig so ein Thema ist. Dann erzähle ich anhand von Beispielen aus meinem Umfeld, wie Empathie konkret aussehen kann. Und schliesslich hole ich mir einen guten Rat, wie ich meine Empathie stärken kann.

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Empathie: eine Schwäche oder Stärke?

Empathie ist ein aktuelles Thema. Woran mache ich das fest? Kürzlich sah ich eine ganze Reihe von Posts auf Social Media, meist über Elon Musk. Er äusserte sich mit Kommentaren, die Empathie als bedenklich erscheinen lassen. Zum Beispiel bezeichnete er die Ausnutzung von Empathie als grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation. Empathie würde als Waffe benutzt. Damit wollte er Kalifornien kritisieren. Die dortige niedrige Krankenversicherung für Menschen ohne gültige Ausweispapiere lehnte er ab.

Empathie als Schwäche der Zivilisation? Bei der politischen Philosophin Hannah Arendt ist Empathie eher eine Stärke von Zivilisation, und ihr Kontext ist immerhin die Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Mir ist ein Mensch, der mit Kopf und Herz in Kontakt mit anderen tritt, eigentlich sympathischer als ein Mensch, der sein Herz ausblendet, um umso rücksichtloser mit dem Kopf gegen die Wand der Menschlichkeit anzurennen.

Ich habe Sorge, dass Rücksichtslosigkeit salonfähig wird auf Kosten der Empathie.

Kürzlich sah ich Dokumentationen an über diese vermeintlich starken Männer: Elon, Donald, Vladimir.

  • Da wird von rigorosen, gefühlskalten Vätern erzählt, die ihre Jungs zu harten Kerlen erziehen wollten.
  • Da wird von beruflichen Rückschlägen erzählt
  • und von tiefsitzend verletzter Eitelkeit.

Ich bleibe vorsichtig mit diesen psychologischen Erklärungen. Mir bleibt die Frage: Sollte ich mich einfühlen in die verletzten Kinder, die in diesen Menschen stecken? Will ich mich einfühlen in Menschen, die ihre Gefühlswärme im Laufe ihrer Niederlagen eingebüsst haben?

Ich finde es gut und richtig, aktuell Empathie zum Thema zu machen. Es gehört gut durchdacht und überprüft, inwiefern uns Empathie schwächt oder stärkt. Und egal, ob ich mehr Menschlichkeit, mehr Zivilisation oder mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt will, ich denke, wir kommen früher oder später zu dem Schluss: Rücksichtslosigkeit ist eine Schwäche, und Empathie ist unsere Stärke.

Beispiele für Empathie in meinem Umfeld

Mir fällt es aktuell leider leicht, Beispiele zu finden, wo es offensichtlich an Mitgefühl fehlt. Hilfreicher erlebe ich es jedoch, positive Beispiele zu suchen.

Die gute Zuhörerin

Ich muss an eine Frau denken, die in der Spitalseelsorge arbeitet. Sie geht von Krankenbett zu Krankenbett. Dabei wird sie konfrontiert mit sehr viel Leid und Schmerzen. Sie bekommt den Frust und die Enttäuschung der Menschen mit. Bei all diesen Schwierigkeiten emotional mitschwingen zu können, ist eine besondere Fähigkeit. Und was sie besonders gut kann, ist einfach zuhören. Sie hört einfach mal zu. Ich staune, ich bewundere diese Fähigkeit. Es fällt mir selbst zu schnell zu leicht innerlich zuzumachen, wenn ich all den Mist nicht mehr hören mag. Umso höher steigt meine Achtung vor Menschen, die mit Kopf und Herz einfach gut zuhören können.

Der freundliche Fürsorgende

Ich muss an einen Mann denken, in dessen Küche ich manchen Kaffee trinken durfte. Wir besprachen und planten dieses und jenes. Wenn ich aufbrach und in der Garderobe Schuhe und Jacke nahm, fragte er in seiner freundlichen Art, ob er mir noch etwas Gutes tun könne. Das tat er eigentlich immer. Erst viel später bekam ich mit, dass viele seiner Besucher diese Erfahrung machten. Bevor du gehst die Frage: «Kann ich dir noch etwas Gutes tun?» Das ist so eine einfache Frage. Die konzentriert sich einfach auf das Bedürfnis des Gegenübers. «Was brauchst du, damit es dir rundum gut geht?» Heute bereue ich es, nicht früher bemerkt zu haben, wie viel an Freundlichkeit und Fürsorge in dieser wunderbaren Frage mitschwingt.

Die Nachfragende

Ich muss an eine Kollegin denken, die kürzlich nachfragte. Sie machte sich Sorgen um mich. Ich hätte in einer Sitzung so niedergeschlagen gewirkt. Ehrlich gesagt war das wirklich eine so schreckliche Sitzung, dass ich mich in der Tat sehr niedergeschlagen fühlte. Ich dachte, ich hätte einigermassen verstecken können, wie es mir geht. Eigentlich wollte ich nicht darüber reden. Doch diese Nachfrage tat mir richtig gut.

Die gute Zuhörerin, der freundliche Fürsorgende, die Nachfragende ‒ das sind meine Beispiele für gutes Mitfühlen, für gelungene Empathie. Bei solchen Beispielen merke ich, wie es mich stärkt, wenn Menschen mir empathisch begegnen. Ich wünsche mir dann, selbst auch andere mehr in dieser Weise zu stärken. Da steckt so viel an gemeinsamer Freude, an Verbundenheit und Zuversicht drin!

Ein guter Rat

Heute Morgen hatte ich Besuch von Patricia Matt. Sie ist Paar- und Familienberaterin in Sargans. Zweimal im Jahr bieten wir Impulstage an, zur Vorbereitung auf die Hochzeit und Ehe. Als sie zur Tür hereinkam, bot ich ihr – soviel Zeit muss sein – zuerst Kaffee oder Tee an. Aber sobald wir uns zur Arbeit hinsetzten, musste ich die Gunst der Stunde ja nutzen, wenn ich schon mal eine Fachfrau, eine Expertin für Zwischenmenschliches vor mir habe.

Ich fragte sie also: «Was ist dein Nummer-1-Tipp für Empathie? Was ist das Wichtigste, um Empathie zu stärken?» Einen Moment herrschte Schweigen. Und dann bekam ich direkt eine Reihe von Punkten gesagt, die wichtig sind. Ich kam kaum noch mit Aufschreiben hinterher. Ich hatte den Eindruck, da tut sich ein weites Feld auf, von dem ich bislang nur einen Teil angeschaut hatte.

Um Empathie zu stärken, ist dreierlei wichtig:

  1. gut in Kontakt zu sein mit den eigenen Gefühlen.
  2. die Gefühle des Anderen beobachten und wahrnehmen
  3. drittens in einen Dialog zu treten zwischen dem, was meins ist und was deins.

Die Paar- und Familienberaterin Patricia Matt benutzte dazu das Bild von den Schuhen:

Vertiefe Gefühle, indem du hineingehst in die Gefühle des Anderen, so wie du mal andere Schuhe anprobierst.

Empathie üben: Schuhe der anderen anziehen.
Foto: Carsten Wolfers

In meiner Garderobe gibt es viele Schuhe, die irgendwem gehören. So viele Schuhpaare, die da im Flur verstreut herumliegen! Da habe ich daheim ganz viele Möglichkeiten, mal in die einen, mal in die anderen Schuhe hineinzuschlüpfen. Die wenigsten werden mir passen. Aber meine Fähigkeit zu üben, zu spüren, wie es sich anfühlt, damit zu gehen, das fasziniert mich.


Und das ermutigt mich: nicht, dass ich mir Sorgen machen muss, durch zu wenig Empathie so viel zu verpassen ‒ sondern, dass ich üben kann, mehr an Empathie zu gewinnen. Denn das möchte ich eigentlich…

  • nicht nur, um die Zivilisation zu stärken
  • nicht nur, um die Menschheit menschlicher zu machen
  • nicht nur um Elon Musk zu sagen, dass Rücksichtslosigkeit keine Tugend ist

… sondern vielleicht einfach, weil ich die Erfahrung mache, wie es mir und dir damit besser geht.

Unseren nächsten Blogbeitrag liest du hier ab dem 10. April, dann wieder mit Kathrin Bolt.

Dir alles Gute & Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 52-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.