Ein Sternenhimmel in der Kirche, leuchtende Kindheitserinnerungen und ein Lied aus den 80ern – was haben sie gemeinsam? Carsten Wolfers lädt in dieser Folge dazu ein, das Staunen neu zu entdecken: still, andächtig oder voller Lebensfreude tanzend.
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Kathrin in Laurenzen I
Kathrin hat kürzlich erzählt, dass sie einen Sternenhimmel gerne betrachtet. Das ist ein ganz besonderer an der Decke ihrer Kirche, der Laurenzenkirche ↗ im Zentrum von St. Gallen. Der Blick nach oben zu dieser blau getünchten Decke mit ihrer Vielzahl an Sternen lässt staunen. Es gibt viele Kirchen, in denen ein Teil der Decke wie ein Sternenhimmel aussieht – als würde die Weite und Unendlichkeit Gottes über uns aufstrahlen.
Seit Kathrin davon erzählt hat, stelle ich mir vor, wie sie in ihrer Kirche steht, mit andächtigem Blick, völlig eingenommen von dieser Schönheit und Erhabenheit. In der Stille geniesst sie diesen Moment.
Ich möchte auch so staunen.
Das Staunen beeindruckt mich. Es gelingt mir manchmal – und wenn ich darüber nachdenke, merke ich, wie viel Positives und Aufbauendes darin steckt.
Staunen, das schmeckt nach Neugier, nach Entdeckung, nach einer prall gefüllten, glänzenden Schatztruhe. Da mag ich eigentlich sofort zum Spaten greifen und auf die Suche gehen. Aber Kathrins Sternenhimmel weckt in mir auch noch andere Gedanken. Da gibt es eine Kindheitserinnerung und eine Jugenderinnerung, die mich zu einem Wunsch als Erwachsener führen. Darüber möchte ich heute sprechen.
Eine Kindheitserinnerung
Ich erinnere mich, dass manches Kinderzimmer einen Sternenhimmel besitzt. Viele Eltern streichen die ganze Decke mit blauer Farbe an oder hängen einen blauen Baldachin über das Kinderbett. Ein absolutes Muss sind die Plastiksterne, die im Dunkeln leuchten.

Damals hatte ich Dutzende von Sternen in verschiedenen Grössen, die das Licht für geraume Zeit speicherten. Wenn abends die Zähne geputzt waren und die Geschichte vorgelesen wurde, konnte das Kind unter seinem Sternenhimmel selig einschlafen. So schön.
- Im Kinderzimmer soll das Licht der Sterne beruhigen, dass das Kind nicht in völliger Dunkelheit einschlafen muss. Der faszinierende, neugierige Blick, der Versuch, die Sterne zu zählen, hilft, leicht in einen guten Schlaf zu finden. Der Blick in die Sterne lädt mich sanft ein, etwas Schönes zu träumen.
- In der Kirche hingegen sollen die Sterne an der Decke das Bild eines weiten Himmels vermitteln, um uns die Unendlichkeit Gottes näherzubringen. Wie unendlich Gott wohl ist! Wie schön hat Gott diese Welt, diesen Weltraum gestaltet!
Wenn ich in so einer Kirche bete, dann gibt mir das einen Vorausblick auf den Himmel, einen Vorgeschmack auf Gottes Ewigkeit. Es ist, als würde ich unter diesem Himmel ein Wunder erleben.
Theoretisch haben Kirche und Kinderzimmer in diesem Punkt also nicht so viel gemeinsam. Aber praktisch ist dieses Staunen über einen Himmel voller Sterne eigentlich doch ziemlich gut vergleichbar😉. Das Gefühl, das mich hier wie da beschleicht, ist sehr ähnlich. Zumindest wünsche ich mir, mich würde in der Kirche ein solches Staunen überkommen, so wie ein Kind mit einem seligen Lächeln die Sterne da oben bestaunen kann.
Eine Jugenderinnerung: Ich seh den Sternenhimmel
Der Sternenhimmel weckt in mir auch eine Jugenderinnerung. In den 80er-Jahren gab es das Lied von Hubert Kah über den Sternenhimmel.
Der Sänger beschreibt eine romantische Nacht am Strand. Er liegt mit seiner geliebten Partnerin am Strand, er wünscht sich mit ihr irgendwo in die Südsee, und blickt mit ihr in einer überaus romantischen Nacht in den Sternenhimmel. Dann aber singt er fast nur noch vom Sternenhimmel. «Ich sehe den Sternenhimmel, den Sternenhimmel, den Sternenhimmel.»

Wenn ich das Lied wortwörtlich lese, dann bedeutet es: Gerade noch lag ich mit meiner Partnerin am Strand, schaute ihr liebevoll in die Augen, aber dann schaute ich hinaus und vergucke mich so in die Sterne über mir, dass die Partnerin in der Bedeutungslosigkeit versandet. Die Partnerin neben mir war wichtig, um das Staunen zu lernen, aber es gibt scheinbar Wichtigeres, Grösseres, Unendlicheres da oben.
Foto von Dilan NaGi ↗ auf Unsplash ↗
Wenn ich das Lied eher symbolisch lese, dann spiegelt sich die Bewunderung der Sterne in den Augen der Partnerin. Eigentlich geht es dann gar nicht mehr um die Sterne da oben, sondern um den geliebten Menschen an meiner Seite. Dort staune ich über Weite, Grösse, Unendlichkeit der Liebe. Vielleicht bringt mich diese Übertragung von den Sternen hin zur Liebe ohnehin stark dazu zu staunen, zu welcher Liebe ich als Mensch doch fähig bin.
Vielleicht sind die Sterne nicht die da oben, sondern eher in Du und Ich.
Nehme ich hinzu, dass die 80er doch eine sehr ironische Epoche gewesen sind, dann ergeben sich noch andere Optionen unserer Lieddeutung.
In der Deutung bin ich also nicht ganz sicher. Sicherlich staune ich aber, dass mit diesem Lied das Staunen so schwungvoll geht. Da steckt peppiger Rhythmus drin. Da verharre ich nicht in einer Art Schockstarre des Staunens, da bleibe ich nicht innig und andächtig. Sondern bei diesem Lied über den Sternenhimmel denke ich mir: Ich könnte mein Staunen auch tanzen, voller Bewegung, voller Freude, voller Ausgelassenheit.
Mein Staunen muss ich nicht in mir verbergen, in mich hineinfressen, in mir vergraben. Mein Staunen kann ich rauslassen, freilassen, ausagieren, also einfach tanzen.
Ein Erwachsenenwunsch
Als Kind war mir nicht klar, warum die Decke blau ist und warum da leuchtende Sterne hängen. Fasziniert hat es mich allemal. Als Jugendlicher war mir nicht klar, was die Worte des Liedes meinen. Mitgeswingt habe ich allemal. Aber als Erwachsener möchte ich mehr:
Ich will begreifen, was mich da staunen lässt – die Weite, das Unendliche, das Göttliche. Wie klein ich Mensch im Angesicht dieser grossen Grösse bin!
Wenn ich sehe, was das mit mir macht, was mich da innerlich bewegt, dann werde ich dieses Staunen nicht nur in der Kirche oder im Kinderzimmer oder in der Disco wiederfinden. Dann werde ich nicht blaue Farbe besorgen und die gute alte Jukebox laut aufdrehen. Ich begebe mich viel mehr auf eine Suche, wo ich überall ins Staunen komme: ein gutes, positives, aufstellendes Staunen über all das Wunderbare, das mich übersteigt.
Und ich mag als Erwachsener freier und reflektierter mit meinem Staunen umgehen: Dann schaue ich still, innig, andächtig auf die Menschen, die einen Platz in meinem Herzen habe; dann suche ich mir einen Sternenhimmel, ob in der Südsee oder in St. Laurenzen, um dort zu tanzen.
Kathrin in Laurenzen II
Ich habe eine Vermutung: Vielleicht steht Kathrin gar nicht so ruhig und bedächtig unter ihrem Sternenhimmel. Vielleicht schliesst sie sich manchmal abends in ihrer Kirche ein, dreht den Ghettoblaster auf und tanzt unter ihrem Sternenhimmel, bis der Glanz von oben gänzlich in ihr Herz übergeht. Denn genau dafür ist ein Sternenhimmel gut: um den Glanz in sich aufzunehmen und die Freude herauszulassen.
Wenn du also abends durch St. Gallen schlenderst und Licht in der Laurenzenkirche siehst – vielleicht tanzt da gerade eine Pfarrerin ihren Sternenhimmel herunter.
Dir alles Gute & Gottes Segen!

Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.