«Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.»
– So lautet ein berühmtes Zitat von Antoine de Saint-Exupéry ↗, einem französischen Pilot und Schriftsteller.
Höre diesen Text als Podcast:
Nun bin ich eine Landratte. Das Meer ist selbst vom Säntis nicht zu sehen. Warum also sollte es mich überkommen, sinnbildlich gesprochen, ein Schiff bauen zu wollen?
Ich weiss, ich tue gerade furchtbar kompliziert. Aber ob ein solches Zitat zu mir spricht, entscheidet sich vorab, ob ich momentan zufrieden bin oder nicht. Wenn ich eigentlich ganz zufrieden bin mit mir und der Welt, dann muss ich mich nicht bewegen oder anstrengen. Aber wenn mich die Vorstellung überkommt, es könnte etwas «mehr» sein, wovon auch immer? Ich bin nicht ganz zufrieden, wenn es nicht etwas mehr sein darf.
Also widme ich mich heute zunächst diesem Zitat, suche dann ein paar Beispiele dafür und frage mich schliesslich, was mir hilft, «mehr» zu erreichen.
Sehnsucht nach der Weite des Horizontes
Dieses Zitat von Saint-Exupéry ist ein Klassiker, wo immer es um Motivation und Inspiration geht. Motivation meint Bewegung, Gründe zu haben, etwas oder gar sich selbst zu bewegen. Inspiration meint Begeisterung, einen Geist in sich zu haben, der mich nicht ruhen lässt und mich weiter treibt, irgendwohin. Saint-Exupéry, dieser Dichter, dieser Träumer, bemüht das Bild vom Meer, vom Ozean, der sich so weit und schier endlos ausstreckt.

Ich war schon manches Mal am Meer: Ich sitze am Strand, lese ein Buch, creme mich ein, schaue den Kindern zu, wie sie Muscheln sammeln. Ich jogge am Ufer entlang und wundere mich, wie Leute einfach nur so da herumliegen können 😉.
Aber der Blick zum Horizont lehrt mich etwas Besseres:
- Diese Weite des Horizontes ist wie ein Versprechen, dass es irgendwo besser sein könnte.
- Die Weite lehrt mich, dass ich doch noch nicht so viel weiss, nicht so viel kennengelernt habe, wie ich mir gerne einrede.
- Diese Weite ist extrem weit. Da darf ich mich mal wieder klein fühlen. Irgendwo auf der anderen Seite könnte ein Ort für mich sein, wo es besser läuft, wo es schöner ist, wo ich glücklicher und zufriedener sein könnte.
Das Tolle an diesem Zitat ist, dass das wohl nur gemeinsam geht. Ja, ich brauche Hilfe, Menschen, die gemeinsam mit anpacken wollen. Für den gemeinsamen Willen braucht es Motivation, Inspiration, Sehnsucht nach etwas mehr. Viel ist notwendig für die Umsetzung: Holz, Kraft, Zeit, Aufgabenverteilung, Arbeitszuteilung…
Aber ich brauche das «Was» und «Wie» erst, wenn ich ein «Warum» habe.
Ich suche erst einen Weg und eine Karte und einen Rucksack und Mitwanderer, wenn ich weiss, dass ich ein Ziel habe und dass der Weg sich lohnt.
- Eine Vision wird darum immer wichtiger sein als eine Struktur,
- ein Zweck wichtiger als ein System,
- ein Ziel wichtiger als der Weg dorthin.
Beispiele, wie die Sehnsucht nach «mehr» das Leben verändern kann
1. Team-Flow
Ich habe vor ein paar Jahren in einem Team mitgearbeitet, wo wir recht in den Flow kamen. Die gemeinsame Arbeit hat viel Spass gemacht. Wir haben experimentiert. Wir haben uns die Bälle nur so zugespielt. Wir haben blöde Fehler gemacht. Wir haben neue Ideen umgesetzt. Wir waren sehr verschieden.
Aber als Team für unsere gemeinsame Aufgabe vorwärts zu kommen, hat uns vorwärts getrieben. Die Sehnsucht nach Veränderung hat uns in Bewegung gebracht.
Wohin und wie, das war gar nicht so klar. Aber eine Dynamik hat sich entwickelt, Bewegung und Inspiration, hohe Motivation. Dass so ein Team-Flow funktionieren kann, ist eine wunderbare Erfahrung. Hinter dem Horizont der Gewohnheiten könnte eine Art von Zusammenarbeit warten, neu entdeckt zu werden. Team-Flow lässt mich neugierig bleiben.
2. Neue Perspektiven für die Kirche
Unsere Kirchen stehen hierzulande ja vor manchen Herausforderungen. Viel verändert sich. Manche Diskussionsrunde, wie es weitergehen soll, ist geprägt von Finanzsorgen und Personalmangel und Freiwilligenlücken. Manche sind deswegen besorgt, einige sind verzweifelt. Gute Leute gehen.

Da kommt mir auch dieses Zitat von Saint-Exupéry in den Sinn. Wir reden noch viel davon die Arbeit anders zu verteilen, die Aufgaben anders zu vergeben. Wenn jemand mal träumt, hinter dem Horizont könnte anders oder gar besser gehen, dann heisst es schnell: «Nein, das geht bei uns nicht, nicht bei unseren Strukturen.»
Die Sehnsucht nach einer besseren Kirche könnte da eigentlich auch mal heissen, dass die Strukturen einer grösseren Vision zuarbeiten, nicht umgekehrt. Sind wir noch dabei, Arbeitspläne zu erstellen und Holz zu stapeln, oder richten wir unser Fernrohr in die Weite? Es wird wohl wieder beides brauchen.
3. Klarer sehen
Seit Anfang Jahr putze ich häufiger meine Brille. Ich versuche es wenigstens. Wenn meine Brille auf der Nase sitzt, dann sehe ich meist gar nicht, dass Putzen sinnvoll wäre. Ich habe das oft einfach vergessen.

Für 2025 will ich da eine neue Gewohnheit etablieren. Und wenn ich jetzt manchmal morgens in der Küche stehe, während der Kaffee in die Tasse fliesst, da putze ich häufiger meine Brille. Und meistens muss ich dabei lächeln. Ich merke, dass Veränderung gar nicht so schwer ist. Und die Vorstellung, etwas klarer oder gar weiter zu sehen, die gefällt mir sehr. Im Kleinen erfülle ich mir da die Sehnsucht nach dem «mehr», nach etwas, das einfach besser ist.
Was mir hilft, Motivation zu gewinnen
Was hilft mir nun, an Motivation, Inspiration, Neugierde, Sehnsucht gar zu gewinnen?
Vielleicht ticken wir Menschen da unterschiedlich. Mir hilft es zurückzuschauen. Also «back to the roots»:
- Was hat mich am Anfang angetrieben?
- Warum bin ich gestartet?
- Was habe ich gewollt zu Beginn?
Da wird für mich die eigene Berufung wichtig.
Wer mich inspiriert
Es gibt für mich gute Gründe loszulaufen:
Mir helfen Menschen, die bereits voller Schwung daherkommen, die ein strahlendes Lächeln kennen, die einen anstrahlen mit diesem Enthusiasmus: «Komm, wir packen das an!»
Mir helfen Menschen, die etwas können, die ihr Handwerk verstehen, die über manche Mängel hinweg signalisieren. «Komm, wir machen das zusammen!» Und mit solchen Menschen fällt es mir viel leichter zu träumen, wie es besser geht, anzupacken mit mehr Hochherzigkeit, mehr zu spüren, wofür mein Herz eigentlich schlägt.
Solche Menschen mit Enthusiasmus oder Gemeinschaftssinn sind nicht immer greifbar, manchmal ist mir auch nicht danach. Es hilft mir allerdings hinzusehen, dass mir die einen mehr helfen und die anderen weniger. Ich werde mir dessen bewusst.
Wenn ich schaue, warum ich mich anfangs auf den Weg mache, wenn ich sehe, mit welchen Menschen ich vorwärts unterwegs bin, dann steckt für mich da ziemlich viel Freude drin. Und Freude bei der Arbeit steckt voller Kraft, egal, ob du ein Schiff baust, ob du eine Kirche entwickelst oder ob du um deine eigene Klarsicht ringst.

Zum Schluss wäre es eigentlich jetzt angemessen, noch einmal Saint-Exupéry zu Wort kommen zu lassen, noch einmal zu träumen, wir könnten doch noch endlich voller Sehnsucht die Meere bereisen. Aber stellen wir uns lieber vor, wir hätten Leute zusammengetrommelt, das Holz gesammelt, die Arbeit verteilt. Stellen wir uns mal vor, wir hätten unser neues Schiff bereits gebaut. Langsam gleitet es vom Stapel und schaukelt auf den Wellen sanft dahin. Stellen wir uns vor, wir hätten die richtige Mannschaft an Bord, Verpflegung unter Deck, und sogar das Wetter spiele mit.
Dann können wir langsam Saint-Exupéry hinter uns lassen und zu seinem Schriftstellerkollegen André Gide blicken, von dem das Zitat stammt:
«Man kann neue Kontinente nur entdecken, wenn man den Mut hat, die alten Ufer aus den Augen zu verlieren.»
🎉 50 Folgen Sternenglanz
Das ist übrigens unsere 50. Folge. Seit fast zwei Jahren holen wir also regelmässig hier Sterne vom Himmel. Wir feiern damit ein kleines Jubiläum.
Darum an dieser Stelle die herzliche Einladung, entweder daheim eine Flasche Sekt am Feierabend mit einem lieben Menschen zu teilen und auf uns anzustossen, auf das, was du beim Hören für dich gewinnst, oder aber eine Kiste Sekt an unsere Geschäftsstelle zu schicken. Das hilft uns, auch weiterhin Holz zu sammeln, Arbeit zu verteilen und zu sehen, was hinterm Horizont auf uns wartet.
Unseren nächsten Podcast kannst Du hier hören ab dem 13. Februar, dann wieder mit Kathrin Bolt.
Dir alles Gute & Gottes Segen!

Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.