Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#48 Weihnachten ohne dich – 5 Tipps

Kathrin: Barbara macht mir Sorgen. Zum ersten Mal feiert sie ohne ihren Sohn Thomas. Ich habe ihn diesen Frühjahr beerdigt. Er war 23 Jahre alt, ihr einziges Kind, ein unglaublicher Schock.  Jetzt steht Weihnachten vor der Tür, und Barbara fragt sich: Wie soll ich das schaffen?

Carsten: Kathrin, es macht mich sprachlos, von diesem Schicksal zu hören. Mir gehen viele Gedanken durch den Kopf: Was geht in Menschen vor, die im Weihnachtstrubel nicht mitschwingen können, weil jemand Geliebter fehlt? Das ist unser Thema: Wie gehen wir mit Weihnachten um, wenn jemand fehlt?

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Kathrin: Ich bin froh, dass wir zu zweit darüber sprechen. Denn das Thema ist fast zu schwer, um es alleine zu tragen. Also, was kann man tun, wenn man Weihnachten ohne einen geliebten Menschen feiern muss? Hast du eine Idee?

Carsten: Ich würde mich zurückziehen, im Wissen darum, dass es für mich gerade das Falsche wäre. Wie würdest du es machen?

1. Weihnachten bewusst planen

Kathrin: Für mich wäre wichtig, Weihnachten vorzubereiten – mir einen Plan zu machen, um nicht in die Situation hineinzurasseln. Ich würde überlegen: Möchte ich dem verstorbenen Menschen einen Stuhl, eine Kerze hinstellen, um bewusst an ihn zu denken? Oder mache ich Ferien ganz weit weg, um nicht so sehr an den Schmerz erinnert zu werden?

Carsten: Also, du würdest ein Bild aufstellen, eine Kerze anzünden und dann dir einen Plan für das Festmenü machen – so in etwa?

2. Stolpersteine antizipieren

Kathrin: Ich würde mir die Stolpersteine im Vorfeld überlegen. Was hat der Verstorbene immer eingebracht, das jetzt fehlen wird? Hat die verstorbene Person zum Beispiel immer das Essen gekocht, würde ich mir überlegen, ob es dieses Jahr in Erinnerung an sie genau dasselbe Essen gibt oder etwas ganz anderes.

Carsten: Du hast also die Möglichkeit, alles so zu lassen wie bisher. Oder alles ganz anders zu machen. Oder einzelne Elemente gleich zu lassen und anderes anders zu machen. Damit Weihnachten doch ein Freudenfest sein kann.

3. Emotionen zulassen

Kathrin: Wenn du von Freudenfest spricht, dann hilft das der Barbara nicht. Für sie ist Weihnachten dieses Jahr ein Überlebenskampf. Es gibt den Modus des «Einfach-Überlebens». Und dann, die Jahre darauf, wenn Weihnachten wiederkommt, findet man vielleicht eine stimmige Art, Weihnachten zu feiern. Bei einer Freundin von mir hat der Grossvater zu Weihnachten sehr gefehlt. Zu Weihnachten merkte die Familie, wo überall der Grossvater fehlte. An einer Stelle hat man geweint und später auch Rotweinlikör getrunken und gelacht. Egal, welche Emotionen zu Weihnachten kommen, ich darf sie annehmen.

Wichtig ist, zu sehen und zu akzeptieren, dass Weihnachten ohne eine geliebte Person eine emotional schwierige Situation ist, bei der alles sein darf: Tränen und Freude.

Carsten: Also ist der erste Schritt hin zu einem gelingenden Weihnachtsfest, sich freizumachen von Erwartungen und Vorstellungen. Wir nehmen uns die Freiheit, dass Weihnachten anders sein darf als sonst, wenn jemand fehlt.

4. Das Friedenslicht zum Grab bringen

Kathrin: Ein weiterer Schritt könnte sein, der verstorbenen Person mit einem kleinen Ritual einen Platz zu geben. Ich habe von Familien gehört, die am Weihnachtstag das Friedenslicht, einen Weihnachtsstern oder eine Engelsfigur zum Grab bringen. So können sie aus ihrer Ohnmacht heraustreten und als Familie an die verstorbene Person denken.

5. Sich mit lieben Menschen umgeben

Carsten: Eine andere Möglichkeit wäre, sich bewusst mit Menschen zu umgeben, die mich auffangen und aufstellen können.

Kathrin: Ich muss Weihnachten nicht alleine gestalten. Ich bin nicht alleine dafür verantwortlich, dass Weihnachten gelingt. In unserer Familie entschieden wir uns, zur Familie meines Mannes zu gehen, um gemeinsam die Trauer zu tragen und den Schmerz auszuhalten, dass ein Sohn in der Familie fehlte. Wir wollten die Trauernden nicht alleine lassen.

Carsten: Wie war dieser Abend dann für euch?

Kathrin: Einerseits war alles wie sonst, mit Essen und Geschenke. Und andererseits war die Schwere spürbar und wir wussten nicht, ob wir es ansprechen sollten, dass er uns so fehlt.

Carsten: Und habt ihr es angesprochen?

Kathrin: Als jemand das Essen lobte, meinte die Mutter des Verstorbenen: «Ja, das war sein Rezept. Das hat immer er gekocht. Jetzt haben es die Brüder übernommen». Das war der Moment, wo wir über ihn sprechen konnten. Selbst habe ich mich nicht getraut, es anzusprechen. Ich versuchte, zu signalisieren, dass ich da bin, habe die Mutter liebevoll in den Arm genommen und liebevoll angeschaut.

Carsten: Das heisst, es kommt mehr darauf an, was jemand sagt, als was jemand tut. Die Hand auf die Schulter zu legen, sich stützen, zeigen, dass man umeinander bemüht ist.

Kathrin: Im Umgang mit Trauernden geht es oft darum, gemeinsam auszuhalten, dass es unglaublich schwer ist, wenn jemand fehlt. Das darf man nicht überspielen.

Carsten: Das ist Weihnachten mit einer gehörigen Portion Realismus.

Kathrin: Und schön ist es dann, wenn es einen kleinen Lichtmoment gibt. Und man merkt: Wir haben es geschafft, zum ersten Mal Weihnachten ohne den geliebten Menschen zu überleben. Wenn Barbara zu Silvester, wieder einem schwierigen Übergang, merkt: Sogar Weihnachten habe ich geschafft. Alleine das kann schon Hoffnung geben.

Weil Gott in tiefster Nacht erschienen

Kathrin: Mich berührt das Weihnachtslied: «Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsere Nacht nicht traurig sein». Dahinter steckt die Vorstellung, dass Gott in dunkler Nacht sein Licht in die Welt stellt. Das mag wie ein billiger Trost klingen, aber wenn ich es mir tief im Herzen vorstelle und bete, dann glaube ich daran: Die zarte Lichtkraft Gottes kann im dunklen Herzen wieder etwas hell machen. Dann wird der Heiland besungen – und wir brauchen diese Heilung, dieses Heil.

Carsten: Was du erzählst, erinnert mich an Psalm 23, den guten Hirten. Da kommt im Mittelteil das Wandern durch die tiefe Schlucht und Dunkelheit. Doch Gott begleitet mit seinem Hirtenstab. Und gibt mir Segen mitten durch die Dunkelheit. Am Ende des Gebetes ist dann die Rede von der Festtafel. Irgendwann werde ich dort ankommen. Im Moment bin ich in der Dunkelheit, aber dort bin ich nicht alleine, da geht jemand mit mir mit…

Kathrin: …bevor ich dann die Weihnachtsgans am gedeckten Tisch geniessen kann…

Carsten: Vielleicht rieche ich sie schon in meiner tiefen Schlucht (lacht)

Kathrin: Das wünsche ich Barbara. Auch wenn sie dieses Jahr die Weihnachtsgans noch nicht riechen kann: Dass sie kleine Lichtmomente erleben kann, weil liebe Menschen sich um sie kümmern. Ich möchte euch Mut machen: Wenn ihr jemanden kennt, der dieses Jahr alleine feiert oder einsam ist, weil jemand fehlt – ladet ihn ein! Es tut gut, zu wissen, dass man nicht alleine ist.

Carsten: Manchmal genügt auch eine Karte oder ein Telefonat, um zu zeigen, dass da jemand an mich denkt.

Kathrin: Wir wünschen euch schöne Weihnachten!

Carsten: … und dass alles, was an Dunkelheit um uns herum ist, Glanz und Licht erfährt.

Dir alles Gute & Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.

Bis dahin, mach`s gut und schau gut zu dir.

Portrait Kathrin Bolt

Kathrin Bolt

Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.