Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 4 Minuten

#46 Es lebe der Zukunftstag!

Mitten in der Nacht klingelt der Wecker.
Meine Tochter – 11 Jahre alt und bekannt als grösster Morgenmuffel – steht auf. Voller Freude. Mit einem Strahlen im Gesicht. Warum?
Es ist Zukunftstag!

Tagwache um 03.54 Uhr. Foto: Kathrin Bolt

Das ist der Tag, an dem Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren nicht in die Schule gehen müssen, sondern eine erwachsene Person in den Berufsalltag begleiten dürfen, um zu sehen, wie das mal werden könnte, in der Zukunft.

In den letzten «Sternenglanz»-Folgen haben Carsten und ich vor allem über die Vergangenheit gesprochen. Carsten hat sich dabei mit dem Bild eines verwurzelten Baumstumpfs beschäftigt, über den man immer wieder stolpert. Er hat darüber nachgedacht, wie wir mit schwierigen «Überbleibseln» unserer eigenen Geschichte umgehen können.
Entfernen wir sie für immer? Umgehen wir sie? Können wir sie integrieren?

Es lohnt sich, mit solchen Bildern zurückzuschauen, ein Stück „Biografie-Arbeit“ zu leisten und uns immer wieder mit dem zu versöhnen, was war und was ist.
Aber – allein in der Vergangenheit hängenbleiben, das kann es nicht sein.

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Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als meine Tochter am nationalen Zukunftstag mit so grossem Strahlen im Gesicht loszog. Mitten in der Nacht zur Dorfbäckerei, um für einen Morgen Konditorin zu sein statt Schülerin – das war eine Freude, die anhielt und ausstrahlte, als sie am Mittag müde und glücklich zurückkehrte. Welch schönes Zeichen, wenn der Zukunftstag zu einem der schönsten Tage überhaupt wird! Was für eine Freude, wenn man mit einem Strahlen im Gesicht auf die Zukunft zugehen kann!

Was haben unsere Kinder für eine Zukunft?

Denn – gerade wenn ich an meine Töchter und all die Kinder denke, die ich aufwachsen sehe, blicke ich nicht immer hoffnungsvoll in die Zukunft.
Mit Sorge blicke ich nach Israel-Palästina, in die Ukraine, nach Südamerika und in viele Teile Afrikas und frage mich: Was haben unsere Kinder denn für eine Zukunft?

Welche Zukunft wartet auf unsere Kinder? Foto von Mathieu Stern ↗ auf Unsplash ↗

Seit Amerika gewählt hat und klar ist, wer das Land in den kommenden vier Jahren regieren wird, hat sich meine Angst vor unberechenbaren Egomanen und Grossmächten vergrössert. Können wir unseren Kindern mit Zuversicht und Freude sagen: «Heute ist Zukunftstag – dir stehen ganz viele Möglichkeiten offen – geh deinen Träumen nach und probiere ein bisschen aus»? Oder wäre es nicht ehrlicher zu sagen: «Lebe besser im Hier und Heute – unsere Zukunft ist ungewiss. Geniess, was du jetzt hast, und schau Tag für Tag»?

Nein. Es geht nicht ohne Hoffnung und Zuversicht.
Es geht nicht ohne Vorfreude auf das, was kommt – auch wenn wir nicht wissen, was kommt.


Wir leben in einer Welt, die unsicher und unberechenbar ist.
In gewisser Weise war das schon immer so. Und trotzdem ist es eine Welt mit Zukunft.

Meine Mutter, die vor über 40 Jahren Kinder geboren hat, sagt, sie habe sich auch damals die Frage gestellt, ob es vernünftig sei, Kinder in die Welt zu setzen. In diese Welt. Auch sie blickte damals mit Angst auf die Welt und dachte: Es könnten schlimme Zeiten anbrechen.
Und doch: Es hat sich gelohnt!

Zukunft und Hoffnung

Wenn ich noch weiter zurückblicke und schaue, was die biblischen Texte über schlimme Gegenwartserfahrungen erzählen, lese ich viel von Angst und Sorge. Ich lese von Menschen, die nicht wissen, wie es weitergehen soll, die denken, das Ende der Welt sei gekommen. Und gleichzeitig lese ich von Hoffnung auf die Zukunft. Einer meiner liebsten Bibelverse spricht zu einem verzweifelten Volk, das Gewalt und Vertreibung erlebt hat und nicht weiss, wohin der Weg gehen soll.

Der Vers steht beim Propheten Jeremia:

«Denn ich weiss wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht GOTT.
Gedanken des Friedens und nicht des Leides.
Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben.» (Jer 29,11)


Zukunft und Hoffnung. Gedanken des Friedens.
Auf diese wenigen Worte kann man unsere Sehnsucht nach Leben zusammenfassen. Für mich sind sie spürbar geworden am Zukunftstag meiner Tochter, an dem sie – und viele andere Kinder – so viel Neues und Spannendes entdecken durfte. Eine Zukunft, in der sie irgendwann erwachsen wird und die Welt mitgestalten kann.

Ganz ehrlich: Ein bisschen war ich neidisch auf meine Tochter.
Einen Morgen lang Spitzbuben ausstechen, Brote belegen, Vermicelles aus dem Dressiersack drücken – das hätte mir auch Freude gemacht. Und ich habe mir überlegt: Wie würde ein Zukunftstag für mich aussehen?
Was würde ich gerne mal ausprobieren?
Was wünsche ich mir für meinen Weg?

Neue Aufgaben, Möglichkeiten, Herausforderungen – eine Weiterbildung? Ein eigener Garten? Ein Haustier? Eine Reise?

Als Frau in der Mitte des Lebens spüre ich Lust auf Veränderung, auf Neues. Mit vielen anderen teile ich den Gedanken: «Das kann noch nicht alles gewesen sein.»

Ich stelle mir vor – egal, wo du gerade stehst auf deiner Lebensreise – es tut gut, sich eine Zukunft vorzustellen, in der vieles möglich ist.

  • Eine Zukunft, in der ich Neues ausprobieren und lernen darf.
  • Eine Zukunft, die mir vielleicht noch eine Seite an mir zeigt, die ich bisher kaum gelebt habe.
  • Eine Zukunft, von der wir Gutes erwarten dürfen.

Das ist für mich Advent.

Vorfreude auf eine gute Zukunft


In der Adventszeit üben wir die Vorfreude auf eine gute Zukunft.
In der Adventszeit leben wir in der Erwartung: da kommt etwas, etwas Schönes, etwas Helles.
Es macht viel aus, diese Haltung zu leben und damit zu rechnen: Da kann etwas Gutes kommen. Ein kleines Kind, das uns zuspricht: Frieden auf Erden.


Tag für Tag soll eine Tür aufgehen, eine kleine Überraschung warten, eine kleine Kerze angezündet werden, die uns zuspricht:
«Denn ich weiss wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht GOTT.
Gedanken des Friedens und nicht des Leides.
Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben.» (Jer 29,11)

Ja – Zukunft und Hoffnung. Gedanken des Friedens.
Das brauchen wir!

Ich wünsche dir eine erfüllte Adventszeit mit viel Hoffnung und Vorfreude.
Die nächste Folge hörst du ab dem 5. Dezember mit Carsten.

Bis dahin, mach`s gut und schau gut zu dir.

Portrait Kathrin Bolt

Kathrin Bolt

Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.