Wie funktioniert das, dass ich Briefe verbrenne und so meine Wut verliere? Als Kathrin schrieb, dass sie über den Umgang mit der Wut sprechen will, war das meine Frage: Wie löse ich mich von einem Stück meiner Vergangenheit, die mir nicht gut tut? Wie brenne ich Erinnerungen weg? Warum funktioniert das? Funktioniert es wirklich? Kathrin hat mir die Frage postwendend zurückgeschickt. Danke zurück!
Also machen wir das heute mal zum Thema, und das tut mir vielleicht gut, denn ich bin oft skeptisch, ob und wie solche äusseren Handlungen wie Briefe verbrennen innerlich tief wirken können. Ich möchte verstehen, wie und warum das funktioniert:
- Darum setze ich zunächst ganz tief an und frage vorab: Warum ich alte schlechte Erinnerungen loswerden möchte.
- Dann lade ich ein zu einer Runde in meinem Garten und schaue mal, ob ich dort Hilfe finde.
- Schliesslich überlege ich, was ich konkret praktisch tun kann.
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Warum will ich schlechte Erinnerungen loswerden?
Ich frage gerne nach dem «Warum». Das gibt mir Klarheit über meine Absichten und meine Motivation. Was auch immer da war in der Vergangenheit, ob Wut oder Ärger, eine ordentliche Störung oder bloss eine unangenehme Erfahrung, ob Trauer und Leiden, ob Unrecht oder Verlust: auf Dauer möchte ich nicht in dieser Situation bleiben.
Ich möchte zurück dahin, wo es einmal gut und schön und recht war. Ich will mich wohl fühlen, will Friede und Glück spüren. Ich mag lächeln, ohne dass da immer wieder eine verstohlene Träne oder eine geballte Faust meine Stimmung stört. Was für eine gewisse Zeit in Ordnung war, soll nicht auf Dauer so negativ bleiben. Manches gehört mittlerweile zu mir, aber nicht jene Dinge, die mich hindern, der zu sein, der ich eigentlich bin. Störungen müssen raus.
Was immer da gewesen ist, alte Geschichten, unabgeschlossene Geschäfte, all das soll irgendwann wieder zu einem guten, gesunden Ende kommen.
Welcher Natur auch die Schwierigkeiten der Vergangenheit sind ‒ ich will wieder positiver nach vorne schauen. Darum kommen wir Menschen auf Ideen und verbrennen zum Beispiel belastende Briefe von früher. Es tut gut, äusserlich etwas zu tun, um innerlich sich umzuprägen. Andere werfen Steine oder tragen ein Trostwort im Portemonnaie mit sich herum. Die einen tragen Wasser, andere hacken Holz. Wir zünden Kerzen an, rufen Namen in Erinnerung. Irgendwie scheint es uns zu helfen, etwas zu tun, das ich sehen und mit Händen greifen kann, rituell, liturgisch, greifbar.
Der Baumstumpf – Umgang mit schlechten Erinnerungen
Ich lade dich ein zu einem Gang durch den Garten. Denn kürzlich musste ich dort einen Baum fällen lassen. Das gute Stück ist im Laufe der Jahre einfach zu gross geworden. Leider. Und jetzt stört mich dieser Baumstumpf, der aus der Wiese hervorragt. Das ist gefährlich. Da könnte ja jemand drüber stolpern. Das ist nicht so schön, als wenn der Rasen schön grün darüber wachsen könnte. Also habe ich überlegt und rumgefragt, welche Möglichkeiten ich habe:
Ich könnte den Baumstumpf ignorieren.
Acht bis zehn Jahre und dann verschwindet dieser blöde Baumstumpf von alleine. Das fordert von mir ein gehöriges Mass an Geduld. Mit der Zeit würde ich mich vielleicht daran gewöhnen. Irgendwann in der Zukunft könnte es mir egal sein, dass da so ein Stumpf herausragt, dass da noch viel unten verborgen in der Erde ruht. Ich ignoriere das.
Ich könnte so auch mit negativen Erfahrungen der Vergangenheit umgehen: einfach ignorieren, so weit und so lange das geht.
Ich könnte den Baumstumpf herausfräsen.
Das würde ich besser nicht alleine machen. Da gibt es aber gute Maschinen für. Der Gärtner meines Vertrauens hätte das gerne gemacht. Das, was da an Baumstamm noch aus der Erde herausragt, könnte man einfach wegfräsen. Das ist aufwendig und teuer.
Mit Negativem von früher könnte ich auch so umgehen, mit starkem Einsatz, mit viel Zeit, Kraft und Aufwand das, was mich stört, herausschneiden.
Ich könnte den Baumstumpf ausgraben.
Ich hole Hacke, Spaten und Astschere und fange an, den Stumpf und das ganze Wurzelwerk freizulegen und aus dem Boden herauszuholen. Nachher schaufle ich den Krater wieder zu. Ich stelle mir diese Methode allerdings ziemlich schweisstreibend vor. Womöglich leide ich tagelang an Muskelkater, haue mir eine Axt ins Bein oder die Schaufel bricht. Das braucht viel Zeit und Kraft, der Aufwand ist riesig, aber ja, ich könnte das machen.
Wenn ich mit meiner Vergangenheit so umgehe, dann hiesse das: Ich setzte mich stark und ausgiebig mit den Problemen von einst auseinander, und grabe mit aus, was gut bislang in Ruhe war.
Ich könnte den Baumstumpf kompostieren.
All das habe ich letztlich nicht gemacht. Ich habe im Internet recherchiert und bin auf folgenden Rat gestossen: Ich könnte den Baumstumpf kompostieren. Dazu bohrt man mit einer Bohrmaschine mehrere Dutzend Löcher in den Baumstumpf. Dann mischt man Komposterde mit Schnellkompostierer. Diese Mischung füllt man in die Löcher. So soll der Baumstumpf sich von alleine wegkompostieren. Auch das braucht etwas Zeit und Geduld. Eine Schätzung sagt, der Baumstumpf wäre in zwei Jahren weg, manche der Wurzeln würden dann in Ruhe von selbst in der Erde verrotten oder würden im Boden bleiben, ohne weiter zu stören.
Ich bin neugierig, ob das bei uns klappt. Neuerdings gehe ich mindestens einmal die Woche im Garten zu meinem Baumstumpf. Ich will sehen, ob und wie er sich verändert.
Wenn ich dieses Gleichnis versuche zu übersetzen zum Umgang mit Störfaktoren in meiner Seele, dann weiss ich nicht, was für mich so etwas wie Komposterde, Bohrmaschine oder Schnellkompostierer sein könnten. Vorschläge sind willkommen. Da bin ich noch am Überlegen. Soweit aber gefällt mir die Vorstellung, ich könnte mit Gutem und mit dem Willen und dem Mut zu Veränderung die negativen Dinge von früher zu etwas Positivem wenden.
Mir gefällt die Idee, das Störende könnte sich selbst zerlegen. Oben würde bald nichts mehr stören, neues Gras wächst darüber. Unten in der Erde bleiben ein paar Erinnerungen, ohne mich weiter zu beinträchtigen.
Und dann?
Mein blöder Baumstumpf ist immer noch da. Irgendwie gefällt mir die Vorstellung, ich könne schlechte Muster, die sich in meiner Seele eingenistet haben, kompostieren. Dann verwandeln sie sich in etwas Gutes, nämlich Kompost. Warum mir das so gefällt?
Erstens bin ich aktiv geworden und blicke voller Zuversicht voraus, dass in zwei, drei Jahren der schöne Rasen wieder hergestellt sein wird. Ich habe diese Vision, diesen positiven Blick nach vorne, und das tut mir gut.
Zweitens werde ich gelassen. Ich überanstrenge mich dabei nicht, sondern nehme mir Zeit. Ich lasse Gelassenheit walten, dass manches tief in mir sich weder ändern wird noch muss. Das ist kein Manko.
Und drittens habe ich neben meinen blöden Baumstumpf einen wunderschönen Strauch gepflanzt. Schon jetzt, wenn ich durch den Garten gehe, fällt mein Blick auf dieses neue Element, das grazil seine Zweige über die kleine Baumstelle neigt. Einfach schön!
Bei alldem erhalte ich mir Neugier und Experimentierfreude. Egal ob wortwörtlich im Garten oder sinnbildlich in meiner Seele: Ich weiss heute noch nicht, ob das alles so klappt, wie ich mir das vorstelle. Doch ich gehe Schritt für Schritt weiter. Dabei lerne ich mich besser kennen und lerne, was mir hilft, was mir gut tut.
«Schau gut zu dir»
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir nun meine Frage beantwortet habe, wie ich durch äusseres Tun meine schlechten Erinnerungen, meine verfestigten Muster loswerde. Wenn Kathrin schon nicht meine Fragen beantwortet, dann klaue ich eben ihren Spruch. Ist dir aufgefallen, dass sie am Ende ihres Podcasts immer sagt: «Schau gut zu dir?» Ich kann heute all meine Überlegungen, wie ich das alte, störende Erinnerungen und Muster loswerde, nicht besser zusammenfassen als zu sagen: «Schau gut zu dir!»😉
Den nächsten Sternenglanz-Beitrag liest du hier auf unserem Kanal in zwei Wochen, ab dem 21. November, dann wieder mit Pfarrerin Bolt, Kathrin Bolt.
Dir alles Gute & Gottes Segen!
Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.