Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#43 Anker «Hoffnung»

Kürzlich war ich in der Kathedrale in St. Gallen. Die ist gross, und darum gibt es dort immer mal wieder etwas Neues zu entdecken. Diesmal fiel mir eine Figur auf: eine Frau mit wehendem Gewand, schwungvoll die Arme ausgebreitet, oben an einer der Säulen, welche die Kuppel tragen. Diese Dame da oben hat einen Anker.

Häufig sind es irgendwelche Gegenstände, die helfen sollen zu sagen, wer denn da gerade dargestellt wird. Das ist eine Art Wissensquiz, wie bei «Wer bin ich?». Du siehst einen Menschen mit einem Weinfass und denkst: «Das ist Otmar.» Du siehst einen Menschen mit einem Bären und denkst: «Gallus».

Detail aus der Kuppel der Kathedrale St.Gallen, Foto: Alessia Pagani, Bistum St.Gallen ↗

Jemand klärt mich auf: Diese Dame ist keine Heilige, sondern das ist die Hoffnung ‒ eine Allegorie, um den Wert Hoffnung darzustellen. Der Anker symbolisiert die Hoffnung.

Darum möchte ich in diesem Sternenglanz-Beitrag schauen, woher dieses Symbol kommt, und dann möchte ich in die Tiefe gehen, was dieser Anker «Hoffnung» für mich bedeuten kann.

Höre diesen Text über Hoffnung als Podcast:

Es gibt genau eine Stelle in der Bibel, wo von der Hoffnung als Anker gesprochen wird. Er ist aus dem Brief des Paulus an die Hebräer, Kapitel 6, Verse 18-19 ↗:

«Wir haben unsere Zuflucht genommen, die dargebotene Hoffnung zu ergreifen. In ihr haben wir einen sicheren und festen Anker der Seele, der hineinreicht in das Innere hinter dem Vorhang.»

Da stecken mehrere Bilder zur Hoffnung drin:

  • Da ist einmal die Hand, die mir dargeboten wird, um mich aus Not und Elend herauszuholen. Mir bleibt, diese Hand mit meiner eigenen Hand zu ergreifen. Hoffnung bietet sich mir an. Ich brauche dieses Angebot bloss annehmen, bloss noch zugreifen. Mir wird geholfen und ich kann und muss mir da auch etwas selbst helfen. Wenn es mir schlecht geht, wenn ich krank bin, wenn ich deprimiert bin, dann brauche ich beides: eine Hand, die sich mir entgegenstreckt, und den Anschub, mit meiner Hand diese Hilfe anzunehmen.
  • Dann ist vom Vorhang die Rede, jenem Vorhang, der unser Leben von der Ewigkeit trennt. Hier kommt Hoffnung ins Spiel, weil die Hoffnung durch diesen Vorhang hindurchgeht. Ich bin verbunden mit Ewigkeit. Ich bin verankert in diesem Göttlichen, obwohl es mir ach so unerreichbar erscheint. Wenn ich kein Ziel, keine Zukunft vor mir sehe, dann brauche ich diese Vorstellung, dass es da vorne weitergeht.

Der Anker «Hoffnung» funktioniert also in zwei Richtungen:
👉Ich habe Hoffnung, weil ich einen Ausweg aus dem Elend finde…
👈und ich habe Hoffnung, weil am Ende in Gott alles gut wird.

Funktioniert Hoffnung so? Hoffnung gibt mir Sicherheit und Festigkeit, heraus aus der Not und verbunden mit Göttlichem.

Hoffnungsanker der Seele

Mich fasziniert der Ausdruck «Anker der Seele». Seele, das ist meins, mein Innerstes, meine Identität, all das, was wesentlich meine Persönlichkeit ausmacht. Wenn die Hoffnung der Anker meiner Seele ist, dann also nicht nur ein Anker für meine Seele, wann immer ich eine Hilfe brauche und von irgendwoher kommt mir Hilfe zu.

Wenn Hoffnung mein Anker ist, dann gehört der mir. Dann ist die Hoffnung, mit all ihrem Optimismus, mit all ihrer Zuversicht und Sicherheit, ein Teil, der zu meiner Seele gehört.

Der Anker Hoffnung ist meiner. Ich mag ihn hüten wie eine grosse Kostbarkeit, wie einen Schatz, der ganz zu mir gehört. Ich trage also in mir, was mir Festigkeit und Sicherheit gibt. Meins. Ich bin es, der mich hält und trägt, wenn auch nicht ganz allein, aber ja, ich kann das mit etwas Unterstützung.

Sturm auf hoher See
Sturm auf hoher See, Gemälde C. Bayer, 1960

Gezeichnet vom Weg? Wirf Anker!

Es gibt ein Gedicht von Andrea Schwarz zum Anker Hoffnung. Sie ist eine Autorin, die in den vergangenen Jahren mit Texten und Gedichten bekannt wurde. Und sie schreibt gelegentlich einen Blog für die Kirche in Osnabrück ↗. Dort bin ich über ihr Gedicht zum Anker Hoffnung ↗ gestossen. Dieses Gedicht bringt für mich viel zum Ausdruck über die Hoffnung als Anker: diese Verbundenheit, diese Hilfe heraus aus Not und hinüber zu Neuem, die Vorstellung, dass ich selbst der Anker bin:

«gezeichnet vom Weg
die Segel vom Sturm zerfetzt
die Vorräte aufgebraucht
und das Land
nicht entdeckt 

/
wirf Anker
mach dich im Grund fest
vergewissere dich
was hält und trägt

/
und dann setz Segel
und fahr wieder hinaus»
(Andrea Schwarz)

Mir gefällt die Bewegung in diesem Text. Da wird eine Not beschrieben: gezeichnet, zerfetzt, aufgebraucht, unentdeckt. Und dann bin ich es selbst, der den Anker «Hoffnung» wirft. Ich fange an, mich umzuschauen: Von wo her kommt mir Hilfe? Wo kann ich Hilfe ergreifen?

Ich schaue tief in mich hinein. Ich schaue nach vorne, auf das, was mich hält und trägt, auf welchem Grund ich stehe. Und daraus entwickelt sich die Kraft weiterzugehen.

Der Anker «Hoffnung» ist nicht Trost in der Bedrängnis. Er ist viel eher Selbstvergewisserung und Energieschub.

Normalerweise habe ich es nicht so mit zu viel an Bild- und Gedichtsprache. Das Bild vom Anker meiner Seele als Hoffnung bleibt mir aber hängen. Vielleicht regt sich in mir die Hoffnung, dass mehr Hoffnung gar nicht so weit weg sein könnte, dass ich zu viel mehr Hoffnung fähig bin.

Deshalb vertiefe ich dieses Bild vom Anker noch ein wenig und hänge zwei weitere Gedanken an.

Den Anker herablassen in die Tiefe

Der eine Gedanke ist, dass ich diesen Anker loslassen muss, wenn es notwendig wird. Wenn es für mich stürmisch wird, wenn Gefahren mich drohen in die Tiefe zuziehen, dann muss ich den Anker loslassen, damit er funktioniert.

Anker Hoffnung sich in sich selbst verankern

Für Hoffnung kann ich nicht bei mir alleine bleiben. Ich muss mich ausstrecken, mich lassen und mich festmachen an dem, was wirklich hält und trägt.

Ich selbst bin nicht der feste Grund. Aber wenn ich etwas aus mir herausgehe, dann finde ich in meiner Tiefe womöglich eine Sicherheit, die starke Hoffnung ist. Ich muss mich gleichsam als Anker auf etwas Anderes hin auswerfen. Ich kann nicht bei mir allein bleiben, um festen Grund zu finden in stürmischen Zeiten.

Den Anker in den Alltag mitnehmen

Der andere Gedanke ist, dass ich diesen Anker nicht endgültig loslasse und dass dieser Anker mich nicht loslässt. Weil ich in meiner Seele eine Hoffnung habe, werde ich erst mutig genug, mich zu bewegen, mal etwas zu riskieren, mich auf Neues einzulassen. Der Anker Hoffnung ist also etwas, was ich bei mir habe für alle Fälle. Diese Rückversicherung gibt mir die Sicherheit, um mich auf den Weg zu neuen Ufern zu machen.

Auf zu neuen Ufern! Foto von Knut Troim ↗ auf Unsplash ↗

Was noch Hoffnung gibt

Noch immer bin ich weit weg von den Küsten und Häfen der Weltmeere. Einen richtigen, grossen, schweren Anker habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Dennoch, heute kann ich mehr anfangen mit dem Symbol des Ankers für die Hoffnung, die meine ist. Ich mag mich in dieses Symbol vertiefen und ausloten, wie Hoffnung für mich funktioniert. Es reizt mich genauso, mich auf die Suche zu machen, nach anderen Symbolen, nach neuen Bildern für Hoffnung. Bei vielen Dingen frage ich mich, ob nicht auch das ein Hoffnungsbild ist:

  • die Pflanze, die im Verwelken ihre Samen verstreut
  • die Streichhölzer, die in der Schublade bereitliegen
  • die Pizza im Ofen, die langsam diesen wunderbaren Geruch im Haus verströmt…

Mit welchen Bildern von Hoffnung bereicherst du deine Seele?

Soweit einmal für heute. Unseren nächsten Sternenglanz-Beitrag hörst und liest du ab dem 24. Oktober, dann wieder mit Kathrin Bolt!

Dir alles Gute & Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.