Kathrin hat sich geoutet als Schlafmütze, als Langschläferin. Sie gehört offenbar zu jenen, die fünfmal auf die Snooze-Taste drücken. In unserem letzten Blogbeitrag sprach sie darüber, wie wichtig ihr der Schlaf ist, über das Bedürfnis zur Ruhe zu kommen, die seelische Gesundheit, die genügend Schlaf sichert, sowie über das Vertrauen, dass Gott es den Seinen im Schlaf gibt.
Seitdem geht mir eine andere Aussage durch den Kopf: «Gott schläft nicht.» ↗ Also hake ich heute nach, was diese Kernaussage eigentlich meint, dann suche ich mir Situationen, in denen mir so eine Aussage hilft, und schliesslich werfe ich noch einen Blick auf innere Haltungen, die damit verbunden sind.
Diesen Text hören:
«Gott schläft nicht.» Ein solcher Satz tönt für mich wie eine biblisch-theologische Rechtfertigung für Langschläfer. Und es macht mir ungeheuer Spass, dass ich als katholischer Theologe einer evangelischen Kollegin eine Rechtfertigung anbiete, auch wenn es bloss um ihren heiligen Schlaf geht😉.
Da geht es nicht bloss darum, dass ich Schlaf brauche, dass ich ein natürliches, notwendiges Bedürfnis nach Ruhezeit und Auszeit habe.
Ich erlaube mir, mich mal herauszunehmen, mich zurückzuziehen, und das ist völlig in Ordnung, weil Gott gleichsam für mich einspringt. Ich darf schlafen, weil da jemand anderes wacht.
Mein Bedürfnis nach Ruhe findet also sein Gegenstück in dieser Vorstellung von Gott: Gott als Hüter und Hirte, der mein Schutz und Schatten ist.
Ich denke da an Momente, wo ich nicht mehr konnte, wo ich woanders mit meiner Aufmerksamkeit war und den Eindruck gewann: Gott ist da und schützt mich.
Mir kommen auch Erfahrungen in den Sinn, wo ich wie aus Schlaf aufschreckte und erschrak über die Dunkelheit und den Eindruck gewann: Gott ist da, bleibt dabei. Und seine Art, zu schützen oder mich zu begleiten, begreife ich nicht. Vielleicht fasziniert mich gerade deshalb dieses Bild, dass Gott irgendwie dabeibleibt, gerade in der Nacht, ohne Abkürzung, ohne plötzliches «Jetzt ist alles wieder gut.»
Gott als Nichtschläfer ist eher wie mein Schatten, der auch in der Dunkelheit dabeibleibt. Gerade dann gibt mir diese kernige Aussage – «Gott schläft nicht» eine Sicherheit, die ich mir selbst nicht so einfach geben kann. Das habe ich nicht bloss aus mir heraus.
Warum ich nicht alles alleine machen muss – sondern loslassen darf
Manchmal bringen es theologische Kernaussagen auf den Punkt, wofür ich meinen Gott brauche. Es sind Sätze, die Gott etwas zuschreiben, weil es um etwas geht, womit ich als Mensch schlicht überfordert bin oder wo es zum Schaden von mir oder auch anderen gereicht.
Zum Vergleich ziehe ich ein ziemlich schwieriges Beispiel hinzu, wenn Gott gleichsam sagt: «Mein ist die Rache.» Diese Aussage findet sich immer wieder quer durch die Bibel hindurch. ↗
Ich brauchte eine gewisse Zeit um zu begreifen, dass es da nicht um einen rachsüchtigen Gott geht, sondern einen mit einer Gerechtigkeit, die grösser ist als meine Gerechtigkeit.
Es geht darum, dass Rache nicht die Sache eines Menschen sein soll.
So sehr mein Einsatz für Gerechtigkeit gut, wichtig und notwendig ist, die Rache jedoch schadet mir oder anderen.
Indem Gott die Rache zu seiner Sache macht, nimmt Gott dem Menschen gleichsam das Messer aus der Hand. Er macht das Unrecht zur Chefsache, so dass ich mich nicht mehr allein darum kümmere, wohl aber Gott vertraue, dass er es recht macht. Im Ringen um Gerechtigkeit mag Gott mir helfen, dass ich mich mit diesem grossen Projekt Gerechtigkeit nicht übernehme und erst recht nicht zu den falschen Mitteln dafür greife.
Aussagen wie «Die Rache ist mein» oder «Gott schläft nicht» machen mir bewusst, dass ich nicht alles kann, dass ich auch nicht alles können muss, dass andere oder dieser Andere es in bestimmten Dingen besser können.
Und meist – zumindest in der Bibel – geht es im Kern darum, was mir womöglich schadet, z.B. mich an jemandem zu rächen, oder was mir zu einem guten Leben hilft, z.B. genügend zu schlafen.
Drei Situationen, in denen mir der Gedanke «Gott schläft nicht» hilft
Wo und wann hilft es mir, mir zu sagen, dass Gott nicht schläft, während ich getrost schlafen dürfte?
1.Erwachsene Kinder loslassen
Erstes Beispiel: Ich bin Vater von jugendlichen bzw. mehr oder weniger erwachsenen Kindern. Ich stehe also seit Jahren in einem kontinuierlichen Prozess, wo ich mehr und mehr loslassen muss. Meine Rolle als Hüter gebe ich Zug um Zug ab. Die Sorge aber um die eigenen Kinder bleibt.
Ich möchte gerne meine Kinder weiterhin beschützen, keine Frage, aber: Habe ich nicht ohnehin gewollt, dass ich ihnen nicht nur Wurzeln, sondern auch Flügel mit auf den Weg des Lebens gebe?
Wenn meine Kinder sich also mal nicht jeden Tag aus ihrem Urlaub melden, wenn sie versuchen ihre Probleme plötzlich so ganz ohne mich zu lösen, wenn sie gar ausziehen oder plötzlich volljährig werden und mich in ihrem Leben auf den Beifahrersitz abschieben: Schritt für Schritt muss ich die Rolle, die ich so viele Jahre für sie ausfüllte, loslassen.
Das ist normal, einfach ist es nie. Dann sage ich mir manchmal: «Es ist Zeit und in Ordnung, wenn ich mich zurückziehe, denn Gott schläft nicht, er passt auch auf meine Kinder auf.»
2.Ohnmachtsgefühle loslassen
Zweites Beispiel: Kürzlich war ich als Gast bei einem Podiumsgespräch in Buchs. Es ging um die Zukunft der Kirche. Im Laufe des Abends hörte ich verschiedene Statements, was man für die Zukunft der Kirche für wichtig hält. Meistens spürte ich die Ohnmacht heraus, dass da niemand ein Rezept hat, wie es mit Kirche auch mal wieder aufwärts gehen könnte. Manchmal beschleicht mich auch in meiner eigenen kleinen Kirche der Eindruck, wir hätten viel schon ausprobiert, wenig hätte wirklich funktioniert, und eigentlich wäre es höchste Zeit, dass Gott sich mal wieder um seine Kirche richtig kümmert, dass Jesus mal wieder uns unter die Arme greift.
Ich will dazu beitragen und mich bemühen um das Reich Gottes. Und dennoch: Das ein oder andere Wunder oder eine Heilung würde dem Kirchenimage schon helfen. Oder wenn wenigstens die Blumen rund um die Kirche einfach dauerhaft grösser, kräftiger, länger blühen würden, so zur Stärkung unserer Willkommenskultur. Gott hätte da schon ein paar Methoden, die wir normalerweise nicht haben. 😉 Und wenn sich da wenig in der Kirche verändert, alles gleich altbacken und langweilig daherkommt, dann sage ich mir manchmal einfach: «Hey Carsten, Gott schläft nicht!»
3.Überforderung loslassen
Drittes Beispiel: Ich sehe mich als Mensch mit hohem Verantwortungsbewusstsein, einer, der gerne hilft, der gerne Probleme löst.
Und manchmal rutsche ich zu schnell in so eine Helferrolle hinein und meine retten zu müssen, was ich gar nicht retten kann. Vielleicht trage ich in der Tat hier und da Verantwortung, aber: Habe ich auch die Möglichkeiten, die Kompetenzen, die Dinge zu gestalten und zu verändern?
Eigentlich kann ich nur da wirklich verantwortlich sein, wo ich auch entscheiden und wirklich etwas ändern kann. Aber dieses Wissen hilft mir nicht, dieses Gefühl von Überverantwortung abzuschütteln. Gegen Überverantwortung hilft mir, wenn ich mir sage: «Gott schläft nicht. Und ich darf mich manchmal hinlegen.»
Hilfreiche Haltungen
Mir kommen jedoch auch Beispiele in den Sinn, wo ich mir denke: «Gott schläft tief und fest, sonst müsste das hier doch anders laufen.»
Ich kenne Erlebnisse, wo ich mir denke: «Gott schläft, Gott ist weit weg, Gott ist längst ausgewandert.» Das stellt mein Vertrauen auf die Probe.
Gerade dann ringe ich um eine Haltung von Ausdauer und Geduld. Gerade weil es mir im Moment vielleicht so vorkommt, als hätte Gott den Wecker noch nicht gehört, brauche ich diesen Satz: «Gott ist hellwach».
Noch mehr Haltungen gehen mit dieser Vorstellung eines nicht-schlafenden Gottes einher:
- Ich bleibe demütig. Ich merke ja, dass ich nicht alles kann, nicht immer alles schaffe, dass ich an meine Grenzen komme. In diesem Momenten muss ich mich auf Hilfe anderer oder auf die Unterstützung dieses Anderen verlassen und möchte vertrauen. Diese Demut tut mir richtig gut.
- Ich werde auch realistischer. Ich beginne ja stärker und bewusster zu unterscheiden, was ich kann und was ich nicht kann, wo ich aktiv etwas tue oder wo ich passiv ruhe. Das lässt mich insgesamt viel gelassener durch meine Tage gehen. Ich kann vieles und ich kann nicht alles. Ich kann oft etwas und doch nicht immer. Das ist ein gesunder Zugewinn an innerer Balance.
Leben in Balance
Diese Balance gefällt mir gut: Ich lebe…
- zwischen Wachen und Schlafen
- mit hellen wie dunklen Episoden
- mit Göttlichem und Menschlichem
- bis zu meinen Grenzen wie innerhalb meiner Grenzen
- mit Fremdhilfe genauso wie mit Selbstbestimmung.
Was mich stützt in dieser Balance, ist eine einfache Aussage wie: «Gott schläft nicht.»
Soweit einmal für heute. Dir alles Gute und schlaf schön, wo es nötig wird! Unseren nächsten Blogbeitrag kannst du dann hier am 26. September lesen, dann mit einer komplett wachen, agilen, ausgeschlafenen Kathrin Bolt! 😉
Dir alles Gute & Gottes Segen!
Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.