Ferien und Urlaub sind endlich vorbei. Das hat zur Folge, dass wir alle wieder früh aufstehen dürfen! 😉Viele konnten in den Ferien etwas später aufstehen und im Urlaub pünktlich zum Mittag aus den Federn kriechen. Das ist vorbei. Jetzt wird wieder der Wecker gestellt, der Reservewecker zur Sicherheit auch noch und gegebenenfalls die Snoozetaste überprüft.
Aber vielleicht bist du ja auch so ein begnadeter Frühaufsteher, der so früh wach wird, dass dich die ersten Lichtstrahlen am Horizont wecken? Lässt du dich von der Morgenröte wecken?
Höre diesen Text als Podcast:
Ich mag diese frühe Stunde: Ich wache früh auf, weil sich draussen das erste Licht zeigt. Ich trinke meinen ersten Kaffee und sehe: Da hinten, da wird es langsam hell.
Kürzlich habe ich in der Bibel den Psalm 57 gebetet. Ich bete seit vielen Jahren das sogenannte Stundengebet, das zum grössten Teil aus diesen biblischen Liedern besteht. Öfters, wie hier in Psalm 57, heisst es da: «Ich will die Morgenröte wecken.»
Die Psalmen haben die Eigenart, dass sie für das Gebet wunderbare Bilder malen, mal schöne, mal dramatische. Je nach Lebenssituation finde ich mich darin wieder.
Als ich kürzlich aber wieder mal Psalm 57 betete, – und ich habe diesen Psalm über die Jahre schon zigmal gebetet – da fiel mir auf, dass es da nicht nur diese wunderbaren Bilder gibt, sondern auch eine faszinierende Entwicklung. Diese Entwicklung möchte ich in diesem Blogbeitrag nachzeichnen.
Die Ausgangssituation: umringt von Löwen!
Also schauen wir uns mal an, wie dieser Psalm anfängt:
«Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig, denn ich habe mich bei dir geborgen, im Schatten deiner Flügel will ich mich bergen, bis das Unheil vorübergeht. Ich rufe zu Gott, dem Höchsten, zu Gott, der mir beisteht.
Ich muss mitten unter Löwen lagern, die gierig auf Menschen sind. Ihre Zähne sind Spiesse und Pfeile, ein scharfes Schwert ihre Zunge.»
Die Ausgangssituation ist die: Meine Seele lagert sich unter Löwen. Meine Seele muss sich dort hineinbegeben.
- Und diese Löwen sind gierig.
- Sie haben grossen Appetit auf Menschen.
- Ihre Zähne sind wie Spiesse und Pfeile, ein scharfes Schwert ihre Zunge.
Das meine ich mit dieser wunderbaren Bildsprache der Psalmen. Wenn ich diese Zeilen lese, dann spüre ich schon den heissen Atem des Löwen hinter mir. Ich höre, wie er heranrauscht. Gleich wird er zupacken. Und dann: Guten Appetit!
Wer aber sind diese Löwen aus Psalm 57?
- Manchmal gehen Menschen miteinander genau so um, aus Neid oder Bosheit heraus.
- Manchmal gibt es Situationen voller Leid und Not, wo ich meine, dass ich dermassen vom Pech verfolgt werde. Voller Angst bange ich darum, wie ich aus der Situation wieder herauskomme.
- Manchmal kommt es mir so vor, als wären Termin- und Zeitstress so, als würde meine Agenda Zähne bekommen, um alle meine Zeit zu verschlingen.
- Gibt es neben dem inneren Kind auch einen inneren Löwen in mir, der seine Zähne fletscht?
Ich finde es hilfreich und geradezu gesund, in meinem Meditieren diese Not und Gefahr anzuschauen und anzunehmen. In meinem Beten lade ich diese Not bei Gott ab und schütte Gott mein Herz aus.
Jetzt könnte ich bei diesem Bild stehenbleiben und mir sagen: Gut, dass ich auch und erst recht solche Lebenslagen mit ins Gebet nehmen kann. Gut, dass ich Gott klagen kann und erinnern darf, dass er mich nicht dafür geschaffen hat, um seelisch Löwenfutter zu werden.
Der Psalm 57 bleibt dabei eben nicht stehen, sondern die Antwort folgt.
Die Antwort lautet: Glanz
Gott antwortet auf diese Notlage, denn es heisst dort weiter:
«Erhebe dich über den Himmel, Gott! Deine Herrlichkeit sei über der ganzen Erde!»
Diese alten Texte sind zum Übersetzen aus dem Althebräischen sehr herausfordernd, aber das Bild ist dieses: Gottes Herrlichkeit, sein Glanz kommt herab, sein Glanz fliesst gleichsam wie Regen herunter, das strahlt herab.
Die Not unter Löwen war eine Anfrage an Gott, eine Bitte um Hilfe. Jetzt folgt das Happy End, das glückliche Ende, dass Gott mit seinem Licht all diese Dunkelheit vertreibt.
In solchen Momenten habe ich den Eindruck, dass diese Welt wunderbar ist, dass alles gut kommt, dass alles passt. Das wird mir einfach geschenkt. Ich muss mich dafür nicht sonderlich anstrengen, ich trete bloss vor die Tür, ich wende mich diesem Sonnenglanz zu. Da, in so eine Situation, will ich eintreten, da will ich hinkommen, dort will ich bleiben.
Aber auch dabei bleibt der Psalm nicht stehen.
Meine Haltung: Mein Herz ist bereit
Nun ist es von den Zähnen der Löwen hin zu den Strahlen der Sonne ein grosser Schritt. Das ist Kontrastprogramm. Und wenn ich die Not auch erleide und die Gnade mir auch geschenkt wird, so bleibe ich daran nicht untätig. Das wird mir klar, wenn der Betende fortfährt mit:
«Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, ich will singen und spielen.»
Gerade eben wurde noch das Problem beklagt, dann wurde die Lösung angeschaut, und jetzt sagt der Betende: Ich wäre übrigens jetzt parat, dass wir uns jetzt von diesem Problem verabschieden und dass wir zur Lösung kommen.
Mich fasziniert dieser Zwischenschritt. Da wende ich mich Gott im Gebet zu und sage gleichsam: «Du, für mich ist jetzt grün, wir können losfahren.» Ich mag Gott ja nicht diktieren, wann es Zeit ist zu helfen, aber meinerseits kann ich getrost klarstellen: «Von mir aus können wir jetzt weitergehen. Ich wäre jetzt soweit. Zwar will ich nicht drängen oder stressen, aber ja, von mir aus kann es jetzt weitergehen.»
Diese Fragen helfen mir, meine eigene Haltung zu hinterfragen:
- Bin ich wirklich bereit, das Alte hinter mir zu lassen?
- All die alten Geschichten, die Probleme, die ich schon so häufig durchgekaut habe?
- Oder all jene Probleme, wo ich meine, ich selbst würde durchgekaut?
Mich in eine Haltung hineinzubegeben, in der ich mir selbst sage: «Ich bin bereit für etwas Neues», ist bereits ein innerlicher Abschied vom Alten, eine beachtliche Hinwendung zu dem, was an Gutem und Glanzvollen kommen mag.
Diese Herzens-Wendung steckt also voller Erwartung, voller Hoffnung. Mit Blick auf Notlagen, die ich erlebt und erlitten habe, frage ich mich, wo und wie das gelungen ist, dass ich an einem bestimmten Punkt sagen kann. «Okay, mein Herz ist jetzt bereit, nach vorne zu schauen.»
Aber dabei bleibt Psalm 57 nicht stehen.
Mein Anteil: Ich wecke das Morgenrot
Ein Weckruf schliesst diese Entwicklung ab. Ich zitiere wieder aus Psalm 57:
«Wach auf, meine Herrlichkeit! Wacht auf, Harfe und Leier! Ich will das Morgenrot wecken.
Ich will dich preisen, Herr, unter den Völkern, dir vor den Nationen spielen.
Denn deine Liebe reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue, so weit die Wolken ziehn.
Erhebe dich über den Himmel, Gott! Deine Herrlichkeit sei über der ganzen Erde!»
Diese Bibelstelle, die ich so häufig gelesen habe, hat mich diesmal gepackt. Was für ein Weckruf! Mir ist bewusst geworden, dass es hier ja gar nicht Gott oder irgendjemand ist, der mich weckt und rüttelt und schüttelt, dass ich endlich aufstehe. Nein, hier ist es die betende Person, die sich sagt: «Ich wecke den Morgen.»
Wie kann ich das machen, die Morgenröte zu wecken? Der Psalm macht das mit Jubel und Gesang, also mit lautstarker Freude, und diese Freude gilt…
- der Liebe Gottes, die weit ist wie der Himmel
- der Treue Gottes, die weit ist so weit die Wolken ziehen
- diesem Gott, der seine Herrlichkeit/seinen Glanz über der ganzen Erde erstrahlen lässt.
Vielleicht ist das mein Beitrag, dass hier die Sonne aufgeht, dass ich mich voller Freude und gerne auch mal wieder lautstark erinnere, an diese Liebe, Weite, Zuverlässigkeit eines guten Gottes.
Daran arbeite ich noch. Ich frage mich, was mir noch hilft, gleichsam die Morgenröte zu wecken. Mich fasziniert nicht mehr nur, mit welch schönen und dramatischen Bildern ich beten kann, sondern auch, in welche Entwicklung mich Beten hineinnimmt:
- von der Klage hin zum Jubel
- von dem Problem bis hin zur Lösung
- von passivem Erleiden und passivem Beschenktwerden hin zu meiner Aktivität
… sodass ich mein Herz bereite und meinen Weckruf finde, um ein paar Sonnenstrahlen hervorzulocken.
Der nächste Blogbeitrag erscheint am 29. August mit Kathrin Bolt.
Dir alles Gute & Gottes Segen!
Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 51-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.