«Was machen wir dieses Jahr an Muttertag?», fragt unsere älteste Schwester im WhatsApp-Chat. Sie schlägt vor, dass wir unsere Mutter am Sonntag gemeinsam zu einem Brunch einladen.
Die Reaktionen sind zögerlich. «Weiss noch nicht, ob ich da bin», schreibt die Zweitälteste. Und ich, die dritte von vier, überlege lange, bis ich – zugegeben etwas destruktiv – schreibe: «Ich bin dagegen, Muttertag zu feiern.»
Höre diesen Text als Podcast:
Diese spiessige, veraltete Tradition ist mir zuwider. Damit nähren wir das gängige Bild von Müttern, die sich jeden Tag aufopfern für ihre Familien und dabei nie gesehen werden.
Und jetzt, an einem einzigen Tag im Jahr, soll das geändert werden und die Mama darf sich für einmal feiern und bedienen lassen. Nein danke. Da mache ich nicht mit.
«Ich finde Muttertag auch veraltet, aber ist doch egal – Hauptsache wir sehen uns!», schreibt die Älteste, die selbst keine Kinder hat.
Und die Jüngste, die vor wenigen Monaten ein Baby zur Welt gebracht hat, kontert: «Also ich freue mich extrem auf den Muttertag. Ich bin da gar nicht so revolutionär und finde es total angebracht, dass meine Leistung als Mutter gewürdigt wird.»
An dieser Stelle ist unser Austausch für den Muttertag im Moment beendet. Wir vier Schwestern finden keinen Konsens, ob und wie wir Muttertag feiern sollen. Ob es der Tag ist, an dem wir gemeinsam unserer Mutter eine Freude machen, ob wir uns von unseren eigenen Kindern und Männern beschenken und verwöhnen lassen möchten oder diesen kommerziellen und auch sehr traditionellen Feiertag einfach ignorieren oder sogar boykottieren.
Mich persönlich treibt der Muttertag jedes Jahr um.
Was Mütter alles leisten
Sicherlich ist es unbestritten, dass Mütter Anerkennung verdienen. Nach wie vor sind es die Frauen, die einen grossen Teil der Erziehungs- und Hausarbeit zu Hause leisten und oft später noch die eigenen Eltern oder Schwiegereltern pflegen. Erhebungen zeigen, dass Mütter, die Vollzeit ihre Familie betreuen, oft mehr Arbeitsstunden vorweisen als Berufstätige in Kaderpositionen.
Mütter kochen, trösten, waschen, hören zu, organisieren, improvisieren. Sehr viele Mütter sind erwerbstätig und bleiben gleichzeitig CEO der Familie.
Der sogenannte Mental Load von Frauen, die während ihrer Arbeit am Schreibtisch an den Kindergeburtstag denken und in der Mittagspause noch schnell eine Regenhose kaufen, ist inzwischen in aller Munde. Mütter und Grossmütter leisten unglaublich viel. Oft über die eigenen Grenzen hinaus.
Und ich gebe meiner jüngeren Schwester absolut Recht: Dies soll wertgeschätzt werden! Unbedingt.
Aber ist der Muttertag dafür das Richtige?
Die Frage ist: WER soll WOFÜR wertgeschätzt werden und WIE?
1. WER
Die Antwort steckt im Namen: Muttertag. Wir wertschätzen unsere Mütter, diejenigen Frauen also, die uns das Leben geschenkt haben und uns auf vielfältige Weise so viel gegeben und gelernt haben.
Und von diesen Müttern gibt es eine unglaubliche Vielfalt:
- alleinerziehende Mütter,
- berufstägige Mütter,
- sich aufopfernde Mütter,
- Grossmütter,
- Übermütter,
- Helikoptermütter,
- fehlende Mütter,
- verunsicherte Mütter,
- erschöpfte Mütter.
2.WOFÜR
WOFÜR sollen Mütter am Muttertag wertgeschätzt werden? Diese Frage ist gar nicht so harmlos wie sie klingt. In der Nazizeit zum Beispiel, wurde der Muttertag dazu verwendet, Frauen als Gebärmaschinen für das eigene Volk zu ehren!
Nein – das wollen nicht mehr. Auf keinen Fall!
Aber auch wenn wir dieses Gebärmaschinen-Denken überwunden haben, stellen wir bald fest, dass der Muttertag auch bei uns heute noch immer von bestimmten Vorstellungen ausgeht:
Meine ältere Tochter hat mir, als sie fünf Jahre alt war, im Kindergarten ein Herz gebastelt und dazu ein Gedicht auswendig gelernt, das sie zu Hause vortrug: Das begann mit den Worten «Jeden Tag des Jahres, bist du für mich da. Du spielst mit mir, lachst mit mir, machst mir das Bett, kochst für mich, bringst mit ein Kuscheltier» – lauter liebenswürdige Dinge. Für mich war schnell klar, welches Bild von Muttersein die Kindergärtnerin im Hinterkopf hatte, während sie mit ihrer Klasse die Herzen bastelte. Ein «Danke, Mami, dass du Geld für uns verdienst» oder ein «Danke, dass du dich im öffentlichen Diskurs für Gleichberechtigung stark machst», kam natürlich nicht vor. Klar, dafür soll ein Kind ja auch nicht Danke sagen.
Aber die Muttertagsgeschenke, die meine Töchter Jahr für Jahr aus der Schule nach Hause bringen, lösen bei mir immer wieder Fragen aus:
Wem oder was gilt diese Anerkennung, die ihr hier gebastelt habt? Gilt sie vor allem den sogenannt traditionellen Müttern, die den grossen Teil der Care-Arbeit leisten, ohne dafür bezahlt zu werden? Oder gilt sie auch den Müttern, die sich Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit mit ihrem Partner teilen?
3.WIE
Wenn wir davon ausgehen, dass der DANK am Muttertag vor allem auf die sogenannte Care-Arbeit, das Kuscheln, Putzen, Kochen und Waschen, Geburtstagskuchen backen und Fieberwickel machen zielt, dann muss ich sagen:
Bei aller Liebe: Ein Blumenstrauss pro Jahr reicht nicht! Die Zeiten, in denen Frauen unsichtbar 365 Tagen die ganze Haus- und Familienarbeit geleistet haben, um dann an einem Tag dafür gelobt zu werden, sind vorbei.
Das wünsche ich mir zumindest. Denn die Realität sieht leider aus:
- Noch immer sagen Frauen von sich selbst, wenn sie sich um Kinder und den Haushalt kümmern, «Ich arbeite nicht».
- Noch immer werden Frauen, die Mütter sind und einer bezahlten Arbeit nachgehen, als Rabenmütter angesehen, die sich selbst verwirklichen möchten.
- Noch immer werden Frauen, die keine Kinder bekommen können oder sich bewusst für ein Leben ohne Kind entscheiden, schräg angesehen.
Damit – finde ich – muss endlich Schluss sein!
Den Muttertag neu denken
Ich glaube, dass der Muttertag, wie wir ihn kommerziell feiern, ein traditionelles Frauenbild zementiert, das den Mythos der sich aufopfernden Mutter nährt. Und deshalb plädiere ich dafür, ihn abzuschaffen oder neu zu definieren.
Zum Beispiel als Tag der geleisteten Care-Arbeit!
Oder als Tag der unendlichen Möglichkeiten, Mutter zu sein
Wir könnten diesen Tag zum Anlass nehmen, sichtbar zu machen, wie unterschiedlich Mütter sein können und wollen. Und wir könnten ihn zum Anlass nehmen, all diejenigen Menschen wertzuschätzen, die Tag für Tag Care-Arbeit leisten.
Im Beruf oder zu Hause: Die Putzkräfte, Grossmütter, Vollzeitväter, Kitabetreuer, Kindergärtnerinnen, Krankenpfleger und Hebammen. All denen, die für das Leben sorgen.
Was hältst du vom Muttertag?
- Wäre das ein sinnvoller Schritt? Oder geht damit etwas verloren?
- Feierst du den Muttertag? Ist er dir wichtig?
- Oder hast du das Bedürfnis, ihn neu zu definieren?
Ich jedenfalls habe grosse Lust, über diese Fragen nachzudenke.
Dafür lade ich meine drei Schwestern am kommenden Sonntag zum Brunch ein. Und meine Mutter dazu! Das schreibe ich jetzt gerade in unseren WhatsApp-Chat!
Selbstverständlich nimmt es mich auch sehr wunder, was Carsten dazu für eine Meinung hat 😉.
Ihn hörst du wieder am 23. Mai beim nächsten Sternenglanz Podcast.
Bis dahin, mach`s gut und schau gut zu dir.
Kathrin Bolt
Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.