Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 6 Minuten

#3 Der Kuss

Herzlich willkommen zur dritten Folge von Sternenglanz. Ich hänge noch an den Worten und Bildern von Carstens letztem Beitrag.

Carsten erzählt darin, warum ihn Sterne faszinieren und was Familie Feuerstein, Abraham und Sarah und Immanuel Kant wohl über die Sterne gedacht haben.

Zwei Menschen küssen sich unter einem Sternenhimmel.
Kuss unter dem Sternenhimmel.
Foto von Tati y Adri ↗ auf Unsplash ↗

Bei mir ist am Ende vor allem das Staunen darüber geblieben, was Sterne alles sind: zufällige Lichtpunkte, Orientierung, ein Gefühl von Weite. Aber eben auch ein Bild für Vertrauen und Zuversicht: Da ist noch jemand oder etwas, das mir tief in der Nacht zuleuchtet. 

Worüber Carsten weniger gesprochen hat, was aber mir ein ganz wichtiger Aspekt ist: 

Sterne sind einfach wahnsinnig romantisch!

In meiner Fantasie haben Sarah und Abraham die Sterne nicht nur angeguckt, um zueinander zu sagen: Schau doch, wie gross unser Gott ist!
Sondern sie haben sich auch in die Augen geguckt, Händchen gehalten und sich schliesslich geküsst.

Und darüber möchte ich heute gern sprechen: über das Küssen. 
Schliesslich beginnt nun der Frühling und viele träumen vom Küssen oder sehnen sich danach, geküsst zu werden. 

Das erwartet dich in diesem Sternenglanz-Beitrag:

  1. Der Kuss als Zeichen der Liebe.
  2. Der Kuss des Judas. Wenn ein Freund zum Feind wird.
  3. Der Kuss der Vergebung. Oder: Die Frau, die gar nicht mehr aufhören kann, Jesus die Füsse zu küssen.

Höre diesen Blogbeitrag über den Kuss als Podcast:

1.Der Kuss der Liebe

Bleiben wir also zunächst bei der Liebe.


Ich erinnere mich daran, dass ich einmal als Pfarrerin bei einer Trauung den Kuss vergessen habe. Das war furchtbar! Ich wollte einfach so vom Trauversprechen weitergehen zum nächsten Lied, als das Paar mich ganz entgeistert und fragend ansah. Bis ich es endlich kapierte und sagte: «Ihr dürft euch nun küssen, um euer Versprechen vor allen zu besiegeln.» Dann war alles wieder gut!


Durch dieses Erlebnis habe ich verstanden, was der Kuss für ein starkes Symbol ist: ein Siegel der Liebe. Eine Möglichkeit, um ganz offiziell zu zeigen: Wir gehören zusammen. Wir stehen zueinander. Wir sind einander nahe.

Im Film Pretty Woman ↗ sagt Julia Roberts, die eine Prostituierte spielt, zu ihrem Gegenüber Richard Gere: 

«Wir können alles machen. Nur auf den Mund küssen darfst du mich nicht!» 

Julia Roberts in Pretty Woman

Das wäre dann doch zu nahe. Zu intim. 
Natürlich küssen sie sich später dann doch auf den Mund.
Aber eben nicht, weil er dafür zahlt, sondern weil beide es möchten.

2.Der Kuss des Judas

Judas küsst Jesus, San Giovanni in Laterano, Rom. Foto von Francesco Alberti ↗ auf Unsplash ↗

Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt. Zu Judas, diesem eifrigen Begleiter von Jesus. Judas und Jesus haben sich zur Begrüssung immer einen Kuss gegeben. Darauf jedenfalls lassen die biblischen Geschichten schliessen. Bei uns küssen sich Männer, die nicht ein Paar sind, selten zur Begrüssung. Aber zur Zeit von Jesus war das im heutigen Israel wohl Gang und Gäbe.
Und es war auch stimmig, denke ich. Denn Jesus und Judas standen sich eine Zeit lang sehr nahe.

Judas setzte sich ein für das Anliegen von Jesus und träumte davon, mit ihm zusammen ein neues Reich aufzubauen. Er wollte für und mit Jesus kämpfen! So richtig. Mit Aufstand, Waffen, allem Drumunddran.

Doch Jesus schlug einen anderen Weg ein: ohne Revolution, ohne lauten, sichtbaren Aufstand. Vielleicht aus dieser Enttäuschung heraus, vielleicht, weil er sich zu wenig wertgeschätzt vorkam, vielleicht aus Geldgier, liess Judas sich dazu verleiten, seinen Freund Jesus zu verraten.

In einer klaren Sternennacht – so stelle ich es mir vor – ging Jesus in einen Garten mit Olivenbäumen und betete und wusste: Es kommt etwas Schlimmes auf mich zu. Seine Begleiter, die mit Jesus an diesem Abend unterwegs waren, schliefen alle ein unter dem Sternenhimmel. Dabei hatte Jesus sie mehrfach gebeten: «Bleibt doch wach! Bleibt bei mir!»


Keiner konnte ihm helfen, als Judas mit einer Gruppe von Soldaten kam und Jesus einen Kuss gab. Judas hatte zuvor zu den Soldaten gesagt: «Derjenige, den ich küssen werde, der ist es.»

Und so kommt es, dass in dieser besonderen Nacht Judas auf Jesus zugeht: 

«Mit einem Kuss verrätst du mich?» fragt Jesus ihn. 
Mich friert es immer an dieser Stelle.
Wie böse ist das. Wie fies und hinterhältig. 
Derjenige, der vorher dein Freund war, wird zum Feind. Früher waren es Küsse der Liebe – und jetzt ist es ein Kuss des Verrats.

Eine Erfahrung, die viele kennen: sowohl aus der Perspektive von Judas, als auch aus der Perspektive von Jesus.

Wo ich verraten wurde und andere verrate


Als junge Erwachsene bemerkte ich, dass mein Freund viel am Handy war. Als er nicht da war, schaute ich auf sein Handy: Ich las ein paar Nachrichten und eine Welt brach mir zusammen. Jemand hinterging mich, den ich sehr lieb hatte.

Umgekehrt habe ich auch schon Menschen verletzt, fallen gelassen und im Stich gelassen.

Oder wenn ich an die vielen Menschen denke, die in unser Land flüchten mit der Hoffnung, hier aufgenommen und mit einigermassen offenen Armen empfangen zu werden und die dann hören «Wir haben keinen Platz» oder «Du bist ja gar kein richtiger Flüchtling» – Dann fühle ich mich auch als Verräterin. Nicht, dass ich allein dafür verantwortlich wäre. Oder das einfach verändern könnte. Aber ich bin doch Teil dieses Systems.

Direkt oder indirekt mache ich mich oft schuldig und verrate andere.

Das Schlimme ist, dass ich oft gerade diejenigen am meisten verletze, die mir am meisten am Herz liegen.

Wie können wir damit umgehen, dass wir nicht nur die Küsse der Liebe kennen, sondern eben auch verletzt werden und andere verletzen?

3.Der Kuss der Vergebung

Zu dieser Frage möchte ich dir eine Geschichte erzählen. Sie steht im Lukasevangelium ↗ und erzählt davon, wie Jesus bei einem Pharisäer zum Essen eingeladen ist. Pharisäer sind diejenigen, die Jesus immer auf die Finger schauen und ihm gerne zeigen möchten, was richtig ist und was nicht.


Jesus liegt also mit anderen Männern zusammen bei Tisch – so machte man dies zu seiner Zeit. Er isst und redet, als eine Frau den Raum betritt und direkt auf Jesus zugeht. 


Sie nähert sich Jesus von hinten und beginnt heftig zu weinen. So sehr, dass die Füsse von Jesus nass werden vor lauter Tränen. Also bückt sie sich und beginnt, Jesus mit ihren langen Haaren die Füsse zu trocknen.

Und dann küsst sie ihn an den Füssen. Immer wieder und wieder.

Eine Frau mit schwarzem langem Haar und rotbrauner Kleidung umschlingt die Füsse von Jesus. Ihre Augen sind geschlossen. Jesus streichelt ihren Kopf. Gemälde aus dem Jahr 2009 der Künstlerin Vittoria Salati.
La Maddalena ai piedi di Gesù. Künstlerin: Vittoria Salati, 2009 auf Gigarte ↗

Eine etwas schräge Situation. Diejenigen, die um Jesus herumsitzen, finden es auch schräg. Aber nicht unbedingt die Tatsache, dass da eine Frau zu Jesus kommt und ihm derart nahe kommt. Sondern, dass es eben keine Unbekannte ist: Die Frau ist eine Prostituierte und – warum auch immer – wissen das alle, die da sind. Und sie sagen zu Jesus: 
«Wie kannst du dich von ihr küssen lassen? Weisst du nicht, was das für eine ist?»

Doch Jesus lässt die Berührungen zu und nimmt die Frau in Schutz. Zum Hausbesitzer sagt er: «Du hast mir keinen Kuss gegeben, als ich ins Haus kam. Und diese Frau hat, seit sie hier ist, nicht aufgehört, meine Füsse zu küssen.» 

Mir gefällt an dieser Geschichte, dass Jesus diese Frau so sieht, wie sie ist. Sie sieht nicht nur die Prostituierte. Er sieht den Mensch, die Frau, ihre Liebe. Er sagt zu ihr: «Geh hin in Frieden. Deine Fehler sind dir vergeben.»

Mir gefällt an dieser Geschichte, dass Jesus diese Frau so sieht, wie sie ist. Er sieht nicht nur die Prostituierte. Er sieht den Mensch, die Frau, ihre Liebe. Er sagt zu ihr: «Geh hin in Frieden. Deine Fehler sind dir vergeben.»

Der Kuss ist hier für mich mehr als ein Zeichen der Zuneigung. Er ist ein Zeichen der Vergebung. Der Möglichkeit, neu anzufangen. Geliebt zu werden trotz allem, was man schon verbrochen hat.

Mein Wunsch für dich zum Schluss

Wenn ich meine Gedanken nun zusammenfasse, dann stelle ich mir vor, dass auch dieser verheerende Kuss von Judas, so verräterisch und gemein er auch war, von Jesus erwidert wurde. Und dass Jesus zu Judas dasselbe gesagt hat wie zu dieser Frau: «Dir ist vergeben. Geh hin in Frieden.» 

Soweit meine Gedanken zum Küssen und geküsst werden. Zum Lieben und Fehler machen und Neu anfangen. 

Ich wünsche dir, dass du möglichst unbeschwert in diesen Frühling starten kannst. Vielleicht sogar, in dem du heute jemandem einen Kuss gibst und dieser Person zeigst, dass sie gut ist, so wie sie ist. 

Die nächste Folge von Sternenglanz erscheint in zwei Wochen am 30.März. 

Mach’s gut und schau gut zu dir!