Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#28 Nimmer nett

Kürzlich traf ich Bruder Rakesh. Er ist Mönch bei den Kapuzinern in Mels ↗, und wir bereiten momentan zusammen eine Gruppe junge Erwachsene auf die Firmung vor. Als alles vorbei ist, fragt Bruder Rakesh: «Carsten, hast du schon einen Vorsatz für die Fastenzeit?» Nein, das ich habe nicht. Also sage ich: «Ja, ich verzichte darauf, nett zu sein.»

Rakesh lacht einfach, als gäbe es so etwas überhaupt nicht, ein Verzicht auf Nettigkeit. Das stachelt mich an: Warum soll das denn kein vernünftiger Fastenvorsatz sein? Es gibt doch etliche Berater:innen, Coaches und Mindset-Trainer:innen, die genau das empfehlen. Warum sollte nicht auch ich das mal üben?

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Dann hörte ich in jenen Tagen den Sternenglanz-Podcast von Kathrin. Sie schlägt darin einen wunderbaren Fastenvorsatz vor: «den eigenen Mehrwert im Weniger finden», so menschlich, so wertschätzend.

Da wurde ich unsicher, ob ich meinen Vorsatz nicht nochmals überdenken sollte. Also habe ich letzte Woche meine Schüler:innen gefragt, die Religionsklasse an der Oberstufe:

  • Die eine Hälfte der Klasse meinte, wieso ich das üben wollte, ich wäre doch noch nie wirklich nett gewesen.
  • Die andere Hälfte der Klasse meinte, ich wäre viel zu nett und müsse bei ihnen viel härter durchgreifen.

Diesmal konnten mir die Schüler:innen nicht weiterhelfen.

Immerhin, durch diese Nachfragen kam ich ins Nachdenken, warum ich diesen Fastenvorsatz gerne mal ausprobieren möchte, und wie das geht. Heute rede ich also erst über das Warum, dann über das Wie.

Warum ich gerne weniger nett wäre

Warum möchte ich mal ausprobieren, weniger nett zu sein?
Warum ärgert es mich, für zu nett gehalten zu werden ‒ so sehr, dass mich der Wunsch nach Veränderung überkommt?

In unserer Sprache habe ich den Eindruck, «nett» klingt nach harmlos, belanglos, bedeutungslos. Vor etlichen Jahren hat die Gruppe «Die Prinzen» das Lied gesungen: «Du musst ein Schwein sein in dieser Welt.»

Ich will sicherlich nicht gemein wie ein Schwein sein, aber der Zweifel nagt an mir, ob ich mit Nettigkeit allein vorwärts komme.

Nett sein in der Schule

In der Schule habe ich den Eindruck, viele Schüler:innen erwarten, dass sie sich nett und brav verhalten sollen. Anständig ist, wer nett und brav mitmacht.

Wenn das heisst, dass alle freundlich und gut miteinander umgehen, dann finde ich das wunderbar.

Allerdings habe ich im Laufe der Jahre auch Fälle kennengelernt, wo mit der Aufforderung «Sei nett, sei brav» nichts anderes gemeint war als: «Tu, was ich, die Autoritätsperson, will.»

Die Aufforderung nett und brav zu sein ist dann eher ein Mittel der Disziplinierung, der Anpassung.

Das finde ich dann nicht mehr ganz so wunderbar.

Nett sein in der Kirche

In der Kirche habe ich den Eindruck, dass oftmals die Erwartung ganz allgemein im Raum steht: «Sei nett und sonst nix!»

Die Freundlichkeit zueinander ist da der kleine Bruder der Nächstenliebe, und deswegen darf kein hartes Wort fallen. Der Lack der Friedfertigkeit darf da nicht angekratzt werden.

Gerade in Kirchenkreisen packt man sich lieber mit Samthandschuhen an, mit so dicken Samthandschuhen, dass man die Hand im Handschuh gar nicht mehr spürt. Deswegen bewirkt das dann auch nix.

Friedliebend und harmoniebedürftig

Ich selbst befürchte, oft zu nett zu sein. Ich bin friedliebend und harmoniebedürftig. Da steckt viel Gutes drin, das will ich mir doch bewahren. Aber meine Motive sind nicht ganz selbstlos:

  1. Manchmal will ich einfach meine Ruhe, in Ruhe gelassen in meiner Komfortzone ausruhen. Nett heisst manchmal nicht mehr als: «Ja, ist gut, und lass mich jetzt in Ruhe!»
  2. Dazu kommen Erfahrungen, dass meine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auch schon mal ausgenutzt wurden.
  3. Ich frage mich, ob ich mich verbiege, um anderen zu gefallen. Bin ich freundlich, weil ich von der Sache überzeugt bin, weil ich mich dazu frei entschieden habe, oder laufe ich mit, um anderen zu gefallen?

Wo das der Fall ist, habe ich ein Problem, und mit einem Fastenvorsatz kann ich da gegensteuern. Dabei merke ich, dass ich gut differenzieren muss:

Tue ich etwas, weil es sich jemand von mir wünscht und erwartet, weil ich für einen Gefallen gefallen will, oder tue ich etwas, weil ich mich entschieden habe, freundlich, hilfsbereit, eben nett zu handeln?

Darum will ich mit dem Nett-Sein über die Bücher gehen.

Kathrin Bolt und Carsten Wolfers
Carsten Wolfers im Gespräch mit Kathrin Bolt – wirkt noch ziemlich nett.

Wie gelingt es, weniger nett zu sein?

Wie aber geht das, weniger nett zu sein? Ich tue mir schwer mit diesem komischen Fastenvorsatz. Je nach Situation, egal ob ich bei der Arbeit, am Telefon oder in einer Sitzung bin, ob ich daheim am Tisch Platz nehme, im Zug oder im Auto unterwegs bin:

Allein den Vorsatz gefasst zu haben stellt mich jetzt immer häufiger vor die Frage, ob es jetzt richtig wäre nett zu sein oder besser nicht zu nett zu sein.

Je nach Situation sieht das ganz unterschiedlich aus. Es gibt bislang kein Rezept dafür, wie ich mir meine Nettigkeit etwas abgewöhnen kann.

Nett hat im Englischen zwei Wörter:

  • Nett heisst manchmal «nice» im Sinne von nett um zu gefallen. Nett ist, was anderen gefällt.
  • Oder nett heisst manchmal auch «kind» im Sinne von nett um zu helfen. Nett im Sinne von «kindness» bedeutet Herzlichkeit, Freundlichkeit, Güte.

Wenn ich mir vornehme, in der Fastenzeit nicht mehr so nett zu sein, dann hilft mir diese Unterscheidung, je nach Situation: Wird von mir gerade erwartet, nett im Sinne von «nice» zu sein, und ich mache das, weil ich gefallen will, oder will ich nett im Sinne von «kind» sein, und ich mache etwas, weil ich es gut finde?

Ich will kind sein, aber nicht bloss nice.

Mein grosses Vorbild dafür ist übrigens Jesus. Er verliert wenig Zeit damit, anderen zu gefallen. Zum Beispiel kündigt Jesus auf dem Weg nach Jerusalem sein Leiden an. ↗ Davon wollen seine Jünger:innen nichts hören.

Das ist nicht nett im Sinne von: «Ich erzähle dir nur, was du hören willst.»

Aber andererseits ist es nett im Sinne von: «Ich helfe dir, indem ich dir ehrlich sage, welche Schwierigkeiten auf uns zukommen.» Das ist hilfreich. Das ist wirklich nett auf gute Art, voller Sorge und Güte.

Ich muss einräumen, dass ich noch nicht weit gekommen bin mit meinem Fastenvorsatz. Wenn dir eine gute Idee kommt, wie ich mir meine Nettigkeit etwas mehr abgewöhnen kann, dann melde dich. Vielleicht hast du einen brauchbaren Ratschlag für mich.

Dann wollte ich eigentlich zum Schluss noch etwas Nettes sagen, aber das ist mir leider gerade entfallen. Vielleicht werde ich ab Ostern ja auch wieder etwas netter, je nachdem, wie dieses Experiment läuft.

Die nächste Folge unseres Podcasts Sternenglanz hörst du in zwei Wochen, am 14. März, dann wieder mit Kathrin Bolt.

Dir alles Gute und Gottes Segen

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.