«Warum tust du dir das an?»
Das frage ich mich jedes Mal, wenn ich mich dazu entschliesse, zu fasten.
Also entweder, in dem ich eine Woche lang nach einer speziellen Fastenmethode nur flüssige Gemüsebrühe zu mir nehme – oder in dem ich mich für die ganze Passion- oder Fastenzeit entscheide, auf etwas zu verzichten, was ich eigentlich sehr mag. Schokolade, Alkohol – oder auch: Serien auf Netflix schauen.
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Warum tu ich mir das an?
- Mache ich das, weil es einfach so schön ist, nach 40 Tagen in eine Tafel Schokolade zu beissen, wenn man vorher so lange darauf verzichtet hat?
- Oder weil der erste Prosecco viel mehr wirkt, wenn man ihn einige Zeit nicht genossen hat?
- Oder weil es mich mit so grossem Stolz erfüllt, dass ich so etwas schaffe?
Das sind wichtige Gründe. Das bewusste Geniessen und der Stolz, etwas zu erreichen, motivieren mich dazu, bewusst auf etwas zu verzichten.
Aber viel mehr noch:
Ich glaube, dass es für mich persönlich einen MEHRWERT hat, mich auf dieses WENIGER einzulassen.
Ich habe festgestellt, dass viele Menschen immer wieder nach dem MEHRWERT fragen:
- Lohnt sich das für mich?
- Habe ich da was davon?
- Was ist mein Vorteil?
Das ist unser gewohnt wirtschaftliches Denken: Wir bewerten eine Sache dann für sinnvoll und erfüllend, wenn sie uns einen Vorteil, einen Gewinn bringt.
Mehrwert durch weniger
Wenn jemand vom Fasten oder Verzichten spricht, steht im ersten Moment kaum der Gewinn oder Mehrwert im Vordergrund. Vielleicht noch, wenn es darum geht, ein wenig abzunehmen oder Geld zu sparen.
Aber ist das der Mehrwert, den ich suche?
Diese Frage führt etwas mehr in die Tiefe. Was macht überhaupt meinen «Wert» aus? Wem bin ich etwas wert? Und warum?
Und was ist mein persönlicher MEHR-Wert? Also das, was über mein materielles DA-Sein hinausgeht?
Und das vielleicht gerade dann zum Vorschein kommt, wenn ich mich dazu entschliesse, etwas weniger zu konsumieren?
Damit kann ich einen Bogen schliessen zur Diskussion der letzten beiden Podcast-Folgen, bei der Carsten und ich davon sprechen, was Menschen motiviert, über Glauben nachzudenken. Carsten sagt, es geht beim Glauben um die Menschen, ums Gesehen- und Gehört-werden. Und ich möchte ergänzen: Es geht um den Mehrwert dieser Menschen. Es geht darum, zu fragen, ob wir MEHR sind als bedürfnisorientierte Wesen, die einfach konsumieren und maximieren möchten.
Um diese Erfahrung zu machen, muss ich nicht zwingend fasten oder 40 Tage auf etwas Bestimmtes verzichten.
Auch ohne zu Fasten kann ich mich fragen: Könnte mein Leben MEHR wert sein, wenn ich von manchem etwas weniger hätte?
Eine Meditation über deinen Mehrwert
Vielleicht kannst du dir einen Moment Zeit nehmen, um die Frage nachklingen zu lassen: Wie wäre das…
…Weniger Termine?
…Weniger Verpflichtungen?
…Weniger Kleider?
…Weniger Entscheidungen?
…Weniger Konsum?
Wann und wo spüre ich, dass mein Leben einen besonderen MEHRwert hat?
Wenn die Sonne in mein Gesicht scheint?
Wenn jemand mir ein Lächeln schenkt?
Wenn ich weinen muss, weil etwas mich berührt?
Aus Liebe zu dir selbst
Dieses Jahr, 2024 fielen Aschermittwoch und Valentinstag zusammen. Der erste Tag der Fastenzeit ist auch der Tag der Liebenden! Was für eine verrückte und grossartige Kombination!
Während wir uns vielleicht dafür entscheiden, etwas bewusster zu leben und konsumieren oder auf etwas zu verzichten, ermutigt uns Valentin, von dem gesagt wird, er hätte Liebende Menschen gesegnet.
«Vergesst nicht, weshalb ihr das tut!
Aus Liebe!
Aus Liebe zu euch selbst. Und weil DAS euer Mehrwert ist:
Dass ihr von Anfang an Menschen seid, die geliebt sind und lieben können.»
Ob ich nun am Valentinstag Schokolade schenke – oder ab Aschermittwoch keine Schokolade mehr esse, ist vielleicht gar nicht entscheidend.
Entscheidend ist, dass Menschen ihren MEHR-wert spüren können, wenn sie LIEBE spüren.
Ich wünschte mir, dass MEHR Menschen sehen und spüren könnten, wie viel Wert sie sind.
Und das ist mir für die kommende Zeit viel wichtiger, als mein Verzicht auf Schokolade: Dass ich mir Zeit nehme, andere und auch mich selbst WERT zu schätzen.
In diesem Sinne wünsche ich dir eine achtsame und erfüllte Zeit.
Den nächsten Podcast mit Carsten hörst du am 29. Februar.
Bis dahin, mach’s gut und schau gut zu dir!
Kathrin Bolt
Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.