Weihnachten ist mehr als feines Essen und Musik. Da geht es ja um eine Geburt. Eine Geburt ist eben lange nicht immer Sternenglanz, Zauber und Magie. Eine Geburt kann auch etwas ganz Fürchterliches sein.
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Carsten
Wir haben uns heute etwas ganz Besonderes für diesen Sternenglanz-Beitrag ausgedacht, weil wir kurz vor Weihnachten stehen. Wir nehmen unsere Folge nicht nacheinander, sondern gemeinsam auf und haben uns dazu in St.Gallen getroffen.
Kathrin
Wir haben uns auch ganz weihnachtlich eingestimmt mit einem Tisch voller Glanz: nicht nur Sternenglanz, sondern Weihnachtsglanz und Schokoladenpapierglanz. Carsten hat eine goldene Kette um und einen Tannenbaum im Haar, um etwas weihnachtlich auszuschauen.
Carsten
Dazu hat es Kerzen, Kaffee und ganz viel Schokolade und naja, wir müssen eigentlich jetzt erst anfangen zu essen, bevor wir da irgendetwas anderes machen.
Kathrin
Freust du dich auf Weihnachten, Carsten?
Carsten
Ja, eigentlich sehr. So die letzten zwei, drei Tage vor Heiligabend bin ich nur noch am Rumlaufen und versuche die letzten Dinge irgendwie zu regeln. Und dann bin ich einfach froh, wenn der Festtag da ist und wenn meine Leute einigermaßen in Frieden miteinander klarkommen.
Kathrin
Einigermassen? (lacht)
Carsten
(lacht) Wenn sie einigermassen satt und müde sind… Das ist dann einfach nur noch schön. Wie erweckst du den Zauber der Weihnachten zum Leben, Kathrin?
Kathrin
Ich mag ja diesen Zauber wahnsinnig. Ich mag alles, was mit Weihnachten zu tun hat, Süsses, Lichter, Kerzen, Dekoration, das ist für mich alles Wärme und Geborgenheit. Und dennoch bin ich immer ein bisschen enttäuscht über mich selbst, weil ich es nicht schaffe, das zu zelebrieren, rechtzeitig die Dekosachen bereitzustellen oder in Ruhe und Stille das irgendwie zu begehen. Da bin ich ein bisschen ambivalent. Ich hätte gerne etwas mehr von dieser Weihnachtsstille, weil Glanz und Stille für mich zusammenhängen.
Erfahrungen von Geburt
Kathrin
Aber wir wissen, Weihnachten ist mehr als feines Essen und Musik. Da geht es um eine Geburt. Und ich finde, eine Geburt ist eben lange nicht immer Sternenglanz und Zauber und Magie. Eine Geburt kann auch etwas ganz Fürchterliches sein.
Carsten
Was meinst du damit?
Kathrin
Ich kenne inzwischen so viele Frauen, die auch heutzutage schwere Geburten haben. Fast jede Geburt ist ja schwer, voller Schmerzen, voller Blut, voller Überraschung, ist anders, als man sich das vielleicht erhofft oder gedacht hat. Und sehr viele Frauen erleben etwas ganz Schlimmes. Zum Beispiel, dass das Kind gleich nach der Geburt weg auf die Intensivstation muss, weil es nicht selber atmen kann, zu früh auf die Welt kam oder die Mutter vielleicht übertragen hat und das Fruchtwasser nicht mehr gut war. Es kann so unglaublich viel passieren, und oft ist es eben nicht dieser Zaubermoment, den man sich bei der Krippe vorstellt, dass das Kind da liegt und gesund ist.
Carsten
Ich habe das auch einmal erleben müssen, dass die Ärzte während der Schwangerschaft schon sagten: « Da ist ein Blutgerinnsel in der Gebärmutter», und dann sagt der Arzt plötzlich «Die Chancen stehen 50 zu 50».
Kathrin
Es friert mich jetzt noch, wenn du das erzählst.
Carsten
Ich hab auch bei einer anderen Geburt gemerkt, wie zerbrechlich doch das Leben manchmal ist.
Ich hatte den Eindruck, es läuft eigentlich alles halbwegs nach Plan. Und hinterher meinte der eine Arzt in einem Nebensatz, dass die Nabelschnur schon ziemlich am Hals gelegen hatte. Und dann denkst du dir auch «Ja, hoppla, es hätte so leicht etwas daneben gehen können». Und selbst wenn wir jetzt das Glück hatten, dass das Ganze glücklich geendet hat, wissen wir doch auch darum, wie leicht es hätte anders kommen können.
Kathrin
Es ist eben immer wieder ein Wunder, wenn es dann wirklich klappt und ein Kind gesund ist. Es ist schön zu hören, dass es dann doch gut ausging bei dieser Geburt. Wie viele Kinder hast du jetzt?
Carsten
Ich habe drei Töchter. Ich bin irgendwann immer mehr zu einem Meitli-Papa mutiert. Das ist so mein Schicksal im Laufe der Jahre geworden und ich bin total froh damit.
Kathrin
Das ist doch schön. Ich bin auch ein Meitli-Mama mit zwei Töchtern.
Carsten
Und wie war es so für dich mit Blick auf Geburt?
Kathrin
Sehr geblieben ist mir die erste Geburt der älteren Tochter, weil da war auch alles völlig anders als gedacht und geplant. Da hatte ich eine ganz normale Schwangerschaft und plötzlich, so ein Monat vor der Geburt, war der Blutdruck viel zu hoch und es war klar, da stimmt etwas nicht, das muss man überwachen. Dann kam plötzlich so ein Wort wie Schwangerschaftsvergiftung. Das hatte ich nicht gekannt, ich konnte es gar nicht richtig einordnen.
Ich musste dann alle drei Tage Blut untersuchen und irgendwann kam der Anruf der Ärztin «Jetzt können wir nicht mehr zuwarten, die Werte sind schlecht, jetzt musst du ins Spital und wir leiten ein». Und ich sehe mich noch, ich war spazieren an den drei Weihern bei uns in der Stadt St.Gallen und dachte mir «Oh einleiten, das heisst starke Wehen und zack, das Kind ist da!» Ich dachte, das geht jetzt ein paar Stunden.
Carsten
(lacht) So einmal da auf den Nabel drücken, dann kommt das Kind.
Kathrin
Niemand sagt dir, dass das unendlich lange dauern kann. Also bei mir hat das fünf Tage gedauert! Ich war plötzlich schwer krank und war die ganze Zeit von Ärztinnen und Hebammen umgeben und man hat wieder etwas probiert und wieder abgebrochen und wieder etwas probiert und wieder abgebrochen.
Bis dann ein Morgen ein Arzt da stand und sagte «Jetzt muss das Kind geholt werden». Das war für mich ein Wunder-Moment, weil ich war so erleichtert, dass jetzt endlich jemand eingreift und diese Geburt vorantreibt! Und dann ging es sehr schnell. Ich liege da und spüre, dass etwas an meinem Bauch gerissen wird, aber ohne Schmerz, und dann höre ich den Schrei dieses kleinen Wesens, das war einfach wunderbar. Dann kam es auch richtig gut.
Carsten
Gott sei Dank.
Kathrin
Das ist eben harte Arbeit und ein riesiges Auf und Ab. Ich finde, diesen Aspekt darf man bei der Weihnachtsgeschichte irgendwie auch reinbringen. Mich ärgert das enorm, wenn man dann sagt «Ja, himmlische Geburt und Maria hatte keine Schmerzen».
Das bringt mir nichts, so eine Weihnachtsgeschichte, bei der die Geburt dann als Glanzmoment erzählt wird, ohne Schmerzen, weil das ist nicht das Leben, und für mich ist auch die Weihnachtsgeburt das Leben.
Carsten
Ja, ich frag mich manchmal auch bei all den Geburtsschmerzen kann es in der «Stillen Nacht» nicht so still gewesen sein. Auch mit den Tieren, die da irgendwie noch herum gehen und den Leuten, die vorbeischauen…
Kathrin
Das war eine laute Nacht, vielleicht eine Nacht mit Schreien und Blut und Schmerzen.
Carsten
Ich befürchte, wir müssen unsere Art umstellen, wie wir Gottesdienste zu Weihnachten feiern. Da braucht es mehr Geschrei, mehr Schafblöken…
Kathrin
Hast du für dieses Jahr eine Idee, wie du das umsetzen kannst im Gottesdienst? (lacht)
Carsten
(lacht) Nein, noch nicht. Und ich glaube, ich werde in aller Ruhe wieder «Stille Nacht» anstimmen und wir werden die Flötentöne hören und zufrieden sein.
Ein Stück weit mag ich ja auch verzaubert sein von dem Schönen und dieser Weihnachtsfreude tatsächlich Raum lassen.
Das ist ja das Schöne vom Weihnachtsfest, nach all der Hektik, die wir uns vorher antun, einfach sich zu sagen, da kann ich mich jetzt zurücklehnen und geniessen und alle sind halbwegs zufrieden…
Wer bringt hier Frieden?
Würdest du sagen, seit dem Erleben von diesen Geburten hast du dein anderes Verständnis von dem, was du dir unter Weihnachten vorstellst?
Kathrin
Das glaube ich wirklich, weil die Geburten meiner Kinder so prägende Momente im Leben waren. Wir reden bei Menschen immer von Sterblichen, aber je länger, je mehr habe ich mich damit befasst, dass wir ja auch «geburtlich» sind. Dass das Leben überhaupt anfangen kann, ist ein großes Wunder, und das hat mit der Geburt zu tun. Jeder und jede von uns ist einmal geboren worden und hat einen für jemanden schmerzvollen Beginn im Leben gehabt, und ich finde schon, das ist prägend für jedes Leben.
Und dann frage ich mich, warum so ein kleines Kind in der Weihnachtsgeschichte? Was hat das zu tun mit Gott? Man spricht von einem König, der da auf die Welt gekommen ist. Warum ist das so ein kleines Kind, das angewiesen ist auf Hilfe? Das finde ich jedes Jahr die zentrale Frage, um die es an Weihnachten auch geht.
Wir haben so grosse Könige, Herren, die die Welt mit Militärkraft regieren und immer wieder versuchen, die Welt einzunehmen. Und dann erzählen wir uns eine Geschichte von einem kleinen Kind in einem abgelegenen Stall und sagen, das ist der König der Welt.
Carsten
Pure Hilflosigkeit.
Kathrin
Pure Hilflosigkeit, die Frieden bringt. Das ist unglaublich, oder?
Carsten
Das ist so ein Game Changer, wenn ich schaue, wie unsere Welt häufig funktioniert – oder wir meinen, es müsse so funktionieren. Dann merke ich, ja, es könnte vielleicht alles ganz anders sein und eigentlich macht uns Weihnachten das jedes Jahr neu vor.
Kathrin
Und eigentlich macht es uns jede Geburt vor, dass alles ganz anders sein könnte und sollte. Dass es jedes Kind weltweit verdient hat, dass jemand da ist, es in Windeln wickelt und in ein Bettchen oder in eine Krippe legt und in Sicherheit bringt.
Carsten
Das wäre doch ein wunderschönes Schlusswort für heute. Den nächsten Sternenglanz-Beitrag liest du dann im neuen Jahr am 4. Januar.
Kathrin
Bis dahin mach’s gut und schau gut zu dir.
Carsten
Dir alles Gute und Gottes Segen.
Kathrin Bolt
Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.
Carsten
Wolfers
Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.