Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 6 Minuten

#21 Wo ist Hannahs Seele jetzt?

«Wo ist die Seele von Hannah jetzt?»
Mit dieser Frage forderte mich der Vater einer jungen Frau heraus.
Seine Tochter Hannah ist an einer schweren Krankheit verstorben. Mit gerade 16 Jahren.

Ich möchte in dieser Podcastfolge über ein Thema sprechen, das wir gerne ausklammern. Obschon es jede und jeden von uns betrifft. Wir verdrängen gern, dass der Tod zu unserem Leben gehört. Und zwar zu unserem eigenen genauso wie zu dem unserer Liebsten.

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Wir müssen damit leben, dass Menschen, die uns wichtig sind, sterben können. Und damit, dass unsere eigene Lebenszeit begrenzt ist.

Das ist gar nicht einfach. Im Gegenteil! Der Tod eines Menschen kann unser Leben komplett verändern, aus der Bahn werfen, in eine tiefe Krise stürzen.

Immer schon haben sich Menschen Gedanken darüber gemacht, was der Tod ist und wie wir damit leben können, dass alle von uns irgendwann sterben. Und manche viel zu früh!

Vor tausenden von Jahren hat jemand in einem Gebet, einem sogenannten Psalm geschrieben:

«Lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen.»

Die Bibel, Psalm 90, Vers 12 ↗

Und das möchte ich tun. Mit euch zusammen. Bedenken, dass wir sterben müssen und die Frage stellen: «Wie geht das: mit dem Sterben, dem Tod leben?»

Und natürlich möchte ich auch auf die Frage ganz am Anfang eingehen und überlegen: Wo ist die Seele von Hannah, die mit 16 Jahren gestorben ist?

Leben mit dem Tod. Wie geht das?

Mein erster Gedanke ist: Wir können nicht mit dem Tod leben, wenn wir nicht anfangen, mehr darüber zu sprechen!

Der Tod ist in unserer Gesellschaft ein grosses Tabuthema. Wie ein rohes Ei. Niemand wagt es so richtig, das Thema anzusprechen. Und wenn, dann nur ganz leise. Hinter vorgehaltener Hand. Foto von Jasmin Egger auf Unsplash.

Der Tod ist in unserer Gesellschaft ein grosses Tabuthema. Wie ein rohes Ei. Niemand wagt es so richtig, das Thema anzusprechen. Und wenn, dann nur ganz leise. Hinter vorgehaltener Hand.

Trauernde erzählen mir, dass man ihnen aus dem Weg geht, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Viele wechseln sogar die Strassenseite. Oder tun so, als hätten sie die Bekannte nicht gesehen.

Das erzählt auch der Vater von Hannah. Er kennt so viele Menschen, aber die meisten haben Angst, von Hannah zu sprechen. Sogar enge Freundinnen und Freunde melden sich nicht mehr.

Ich selbst finde es auch unangenehm, Trauernden zu begegnen.
Und bin oft nervös, ob ich die richtigen Worte finde.
Aber ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, trotzdem nachzufragen.
Trotzdem auf Trauernde zuzugehen.
Niemand sollte in so schweren Momenten allein sein.

Den Tod in den Alltag einbinden

Und vielleicht würde es helfen, besser mit Trauernden umzugehen, wenn wir den Tod als Thema auch im Alltag mehr einbinden würden?
Wenn wir einander zum Beispiel die Frage stellen, was wir für Erfahrungen haben. Mit dem Tod. Mit dem Abschied nehmen.
Oder ganz konkret: Wie wir uns unseren eigenen Tod vorstellen:

  • Haben wir Angst davor?
  • Möchten wir – wenn das geht – einmal unsere Organe spenden?
  • Soll unser Körper einst verbrannt werden?

Wir können dem Tod ein wenig von seinem Schrecken nehmen, wenn wir ihn nicht als unausgesprochenes Wort in uns tragen, sondern immer wieder ganz selbstverständlich von ihm reden.

Denn der Tod ist nicht nur schlimm.
Er gibt uns auch die Gelegenheit, jeden Tag als Geschenk zu sehen!
Und Menschen, mit denen wir gern Zeit verbringen, als kostbar zu sehen! Und es lohnt sich, ihnen das auch zu sagen. Solange das möglich ist.
Unsere Lebenszeit ist nicht selbstverständlich. Und das macht sie besonders.

So gesehen ist die Tatsache, dass unser Leben ein Ende hat, eine Ermutigung! Wenn wir die biblischen Worte ernst nehmen:
«Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen.»
Dürfen wir auch sagen: «Lehre uns bedenken, dass wir leben dürfen!»

Was geschieht mit unserer Seele, wenn wir sterben?

Für den Vater von Hannah allerdings – und überhaupt für alle, die im Moment in grosser Trauer sind – ist es nicht möglich, den Tod als Ermutigung zu sehen.

Wenn die Seele blutet, dann braucht es erstmal viel Liebe und Geduld und Zuwendung. Foto von K. Mitch Hodge ↗ auf Unsplash ↗

Und für mich auch die Bereitschaft, über das Leben hier und jetzt hinaus zu denken und Fragen zu stellen:

  • Was geschieht mit uns, wenn wir sterben?
  • Gibt es so ein sogenanntes Leben nach dem Tod?
  • Sind wir doch für die Ewigkeit gemacht, einfach nicht im irdischen Leben?

Als Pfarrerin setze ich mich fast täglich mit dieser Frage auseinander. Und es rührt mich, dass Hannahs Vater von mir eine Antwort wünscht zu ihrer Seele.
Und gleichzeitig werde ich bei so einer Frage auch verlegen.
Weil ich eben keine fertige, stimmige Antwort bereit habe.
Weil ich darin keine eigene Erfahrung habe, wie es ist, zu sterben und was danach kommt. Niemand von uns.

Kein billiger Trost

Es gibt Hoffnungsbilder und Verheissung. Es gibt den Glauben, der sagt: Bei Gott findet deine Seele zur Ruhe. Und ist aufgehoben. Im Grossen Ganzen. Im ewigen Licht. In der Seligkeit. Auch nach dem Tod.

Aber wie soll ich das Hannahs Vater konkret sagen? So, dass es nicht nach Pfarrerinnen-Floskel klingt. Oder nach billigem Trost. Wie kann ich von Hoffnung sprechen, so, dass ich es auch selbst glaube?


Für mich persönlich ist ein Schlüsselwort aus der Bibel der folgende Vers:

«Gott hat den Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt.»

Die Bibel, Prediger/Kohelet Kapitel 3, Vers 11 ↗

weiss-goldener Glitzer und Lametta.
Foto: Rinck Content Studio auf Unsplash

Das ist für mich die Seele.

Ein kleines Stück Ewigkeit in jedem von uns.

Ein göttlicher Glanz, der bleibt, wenn der Körper nicht mehr da ist.

Und das zum Zug kommt, wenn das geschieht, was Jesus als Auferstehung bezeichnet.

So etwa habe ich versucht, Hannahs Vater von meinem Glauben zu erzählen. Aber wichtig war mir auch, von ihm zu hören: Was er glaubt und hofft, was ihm Trost gibt.

Ein helles, warmes Licht

Hannahs Vater liest viele Bücher: zuletzt ein Buch über Menschen, die bei Nahtoderfahrungen ein helles, warmes Licht gesehen haben, nach dem sie sich jetzt täglich sehnen. Das zu lesen, hat ihm gut getan.

Die Erfahrung mit Hannahs Vater hat mir gezeigt, wie wertvoll es ist, über den Tod und auch über die Frage, was dann kommt, zu sprechen. Gemeinsam. Es geht nicht darum, dass eine Pfarrerin eine Antwort geben kann, die Trost spendet, sondern darum, gemeinsam zu suchen: Was könnte uns trösten? Woran können wir glauben?

So haben Hannahs Vater und ich weiterdiskutiert und uns gefragt: Sind uns vielleicht die Frauen, die vor 2000 Jahren am Kreuz von Jesus getrauert haben, ein Trost? Die Frauen, die später erzählen, Jesus sei auferstanden? Ihre Zuversicht und Freude scheint bis heute ansteckend zu sein.

Oder ist vielleicht das Bild ein Trost, dass Sterben ein ähnlicher Vorgang sein könnte wie die Geburt? Ein Übergang – hinein in den dunklen Kanal – und hinaus ans Licht? Foto von Frank Alarcon auf Unsplash
Oder ist vielleicht das Bild ein Trost, dass Sterben ein ähnlicher Vorgang sein könnte wie die Geburt? Ein Übergang – hinein in den dunklen Kanal – und hinaus ans Licht? Foto von Frank Alarcon ↗ auf Unsplash ↗

So bleibt Hannahs Seele spürbar

Hannahs Vater ging, glaube ich, gestärkt aus unserem Gespräch. Auch wenn seine Frage noch lange nicht beantwortet ist. Und seine Trauer schon gar nicht abgenommen.

Das wird noch viele Gespräche und Umarmungen brauchen. Viel auf und ab. Aber was mich an Hannahs Vater beeindruckt, ist, dass er nicht aufhört, von seiner Tochter zu erzählen. Davon, wie besonders sie war. Und stark!

Er behält seine grosse Trauer nicht für sich, sondern lässt zu, dass andere daran teilhaben. Und ein stückweit auch mit ihm daran wachsen können. Allein so, glaube ich, bleibt Hannahs Seele spürbar.

Lasst uns reden. Über den Tod. Und das Leben. Und das, was darüber hinaus geht!

Ich wünsche dir eine gute, geschenkte Zeit.
Den nächsten Podcast hörst du am 7. Dezember mit Carsten Wolfers.
Bis dahin, mach‘s gut und schau gut zu dir!

Portrait Kathrin Bolt

Kathrin Bolt

Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.