Im Moment verkrieche ich mich am liebsten mit einem dicken Kapuzenpulli, einer warme Tasse Tee und Schokolade. Vielleicht noch ein paar Serien.
Aber vor allem: Ruhe und Geborgenheit. Ich nenne es die Schneckenhaus-Sehnsucht.
Kennst du die Schneckenhaus-Sehnsucht?
Bei mir kommt diese Sehnsucht nach Rückzug und Wärme jedes Jahr, wenn es anfängt, richtig Herbst zu werden. Dieses Jahr habe ich schon gar nicht mehr daran gedacht, weil der heisse Sommer zwischen den Regentagen immer wieder aufblitzte und es in den späten Septembertagen abends noch richtig warm war.
Aber vor wenigen Tagen ist mir klar geworden: Jetzt ist Herbst.
Und das bedeutet für mich nicht nur: goldenes Sonnenlicht, farbige Blätter, Äpfel, Kürbissuppe und Kastanien. Sondern eben auch: grosse Schneckenhaus-Sehnsucht.
Höre diesen Text als Podcast:
Ich schaue zu, wie sich unser Zwerghamster tief in die Hobelspäne eingräbt und denke mir: «Genauso möchte ich es auch machen.» Mich tief vergraben. Einhüllen. Warten. Schlafen.
Denn ich weiss: Der goldene, vielversprechende Herbst ist nur der Anfang.
Was folgt, ist eine immer dunklere und grauere Zeit mit kahlen Bäumen und Nebel. Eine Zeit, in der mich oft Wehmut packt. Manchmal auch Einsamkeit. Und zwischendurch eine tiefe Traurigkeit.
Wenn es mir gut geht, dann geniesse ich diese flauschige Rückzugs-Sehnsucht. Und manchmal kann ich mich ihr auch einfach hingeben und zum Beispiel alleine eine grosse Tasse mit heisser Schokolade und Sahne geniessen.
Aber wenn es mir nicht mehr so gut geht, muss ich aufpassen, dass ich mich vor lauter Schneckenhaus-Sehnsucht nicht zu tief verkrieche.
Rezept gegen den Winterblues
Und dafür habe ich ein ganz einfaches, aber wirksames Rezept gefunden: das Licht-Sammeln.
Ich habe vor vielen Jahren einen Psychologen gefragt, was er Menschen rate, die Mühe haben mit der dunkleren Jahreszeit. Es ging damals um einen Radio-Beitrag zum schwermütigen Monat November.
Ich erwartete eine ganze Liste von Tipps. Im Sinne von:
- Triff dich mit guten Freundinnen!
- Gönn dir etwas Schönes!
- Iss möglichst gesund!
- Treib Sport!
- Schreib jeden Tag drei Dinge auf, für die du dankbar bist!
- Schlaf genug! – Was auch immer!
Aber das Einzige, was der Psychologe mir und den Hörer:innen damals riet, war:
«Geh so oft wie möglich ins Sonnenlicht oder ans Tageslicht. Iss auch in den kalten Monaten mittags draussen. Mach möglichst jeden Tag Spaziergänge.»
«That’s all? Das ist alles?!», dachte ich.
Ich war im ersten Moment etwas enttäuscht. Ich hätte mehr erwartet.
Aber ich muss euch sagen: Ich habe diesen Tipp nie wieder vergessen!
Und gerade heute ist es mir wieder passiert: Ich wollte mir am Mittag ein Sandwich holen, um es schnell an meinem Bürotisch zu essen.
Da kam mir dieser «Licht-Tipp» des Psychologen in den Sinn. Also habe ich das Sandwich genommen und bin nach draussen gegangen. An einen sonnigen Platz an der Wand. Eine halbe Stunde Licht und Wärme. Es hat richtig gut getan.
Was Licht bewirkt
Auch wenn der Tipp vom Sonnentanken banal klingt, es steckt ganz viel Kraft darin. Das lässt sich medizinisch erklären. Mit dem Tageslicht empfangen wir Vitamine, Wärme und auch Glückshormone.
Das haben die Autor:innen der Bibel vermutlich nicht gewusst. Oder es hat sie nicht interessiert. Aber auch für sie war klar: Es gibt in unserem Leben – auf unserer Welt – eine unglaublich starke Kraft: Licht!
Nicht umsonst ist Licht biblisch gesehen das erste, das Gott schafft: Es wird erzählt, dass Gott ins Urchaos hinein die Worte sagt: «Es werde Licht!»
Damit wird eine Grundlage geschaffen, dass Leben überhaupt entstehen kann. Und sichtbar wird.
Gott bringt Licht ins Dunkle
So erzählt es auch die Weihnachtsgeschichte. Der hellste Stern zeigt den Weg zu dem, der von sich sagt: «Ich bin das Licht der Welt».
Und dann sagt er auch:
«Nicht nur ich bin das Licht – auch ihr seid es!» ↗
Euch wurde das Leben nicht allein geschenkt, um euch in ein Schneckenhaus zu verkriechen, sondern um zu strahlen, zu glänzen, zu wirken – so verstehe ich das.
Immer wieder raus aus dem Schneckenhaus!
Es gibt das bekannte Sprichwort: «Mach es wie die Sonnenblume. Wende dein Gesicht dem Licht zu, damit die Schatten hinter dich fallen.»
Das geht nicht immer.
Und ich will sie auch nicht hergeben, meine Schneckenhaus-Sehnsucht.
Wenn die kalten Tage kommen, will ich Zeit unter meiner Decke verbringen, eingehüllt in einen dicken Kapuzenpulli, mit Schokolade in der Hand.
Aber zwischendurch will und muss ich das Schneckenhaus verlassen. Um nicht ganz eingehüllt zu werden von der Dunkelheit.
Schliesslich ist für uns Menschen kein Winterschlaf vorgesehen.
Ich hoffe, du kannst die kommenden Herbsttage geniessen.
Ich hoffe, du gönnst dir zwischendurch Schneckenhaus-Momente. Zeit für dich. Gönnst dir den Rückzug.
Und ich rate dir: Geh jeden Tag wenigstens eine halbe Stunde ans Licht.
Hol dir die Vitamine, Wärme und Glücksmomente!
Den nächsten Sternenglanz-Beitrag liest du am 12. Oktober mit Carsten. Bis dann, mach‘s gut und schau gut zur dir!
Kathrin Bolt
Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.