Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#16 So spät geliebt

Kürzlich habe ich in einer Kirche das folgende Lied gehört: «Ich will Dich lieben, meine Stärke». Es stammt von Johann Scheffler, auch Angelus Silesius genannt, aus dem Jahr 1657.

Er hat dieses Lied erstmals veröffentlicht in dem Gedichtband «Heilige Seelen-Lust», ein eher ungewöhnlicher Titel. So könnte man heute wohl kein Buch mehr betiteln. Aber mir gefällt das Lied. Die erste Strophe geht so:

«Ich will dich lieben, meine Stärke,
ich will dich lieben, meine Zier,
ich will dich lieben mit dem Werke
und immerwährender Begier;
ich will dich lieben, schönstes Licht,
bis mir das Herze bricht.»

Angelus Silesius

Dieses Lied gehört zur Gattung der religiösen Schäferdichtung, denn wenn ich mir den Text anschaue, dann habe ich in der Tat die Vorstellung, bei einem spirituellen Schäferstündchen dabei zu sein.

Höre diesen Text als Podcast:

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Erst am Ende der zweiten Strophe wird deutlich, dass das Objekt der Begierde Jesus ist. Damit wird klar, dass der Sänger eine Seele auf der Suche nach Jesus ist. Ich bin da ja eher weniger romantisch, dafür skeptisch veranlagt, daher wird bei diesem Lied mein Interesse erst am Ende der dritten Strophe wach. Da heisst es dann:

«Es ist mir leid, ich bin betrübt, dass ich so spät geliebt.»

Da fühle ich mich ertappt, jedes Mal, wenn ich dieses Lied höre. Ich komme mir oft wie ein Spätzünder vor:

  • In den Schultagen habe ich erst spät gemerkt, dass ich etwas tun muss, um gut weiterzukommen, und nur mit etwas Glück, dass es noch nicht zu spät war.
  • In Fragen von Beziehung bin ich wohl auch eher ein Spätzünder gewesen.
  • In Fragen der Kommunikation mit den neuen Medien, wie zum Beispiel, habe ich erst spät gemerkt, dass es da so etwas gibt wie Podcast und dann hat es noch eine gute Weile gedauert zu merken, welche Chancen das hat.

Also insgesamt, wenn ich auf die vielen Jahre der langsamen Entwicklungen meiner wenig spontanen Persönlichkeit schaue, dann bin ich wohl ein Spätzünder.

Einerseits bedaure ich das nicht.

Die Dinge langsam zu lernen, heisst manchmal ja auch sie gut zu lernen.

Und auch wenn etwas spät Feuer fängt, heisst es ja nicht, dass da nicht noch ein ordentliches, grosses Feuer daraus werden kann. Nein, eigentlich bin ich mit meiner Langsamkeit zufrieden. Foto von Almos Bechtold auf Unsplash
Und auch wenn etwas spät Feuer fängt, heisst es ja nicht, dass da nicht noch ein ordentliches, grosses Feuer daraus werden kann. Nein, eigentlich bin ich mit meiner Langsamkeit zufrieden.
Foto von Almos Bechtold ↗ auf Unsplash ↗

Andererseits steht da doch der Wunsch im Raum, ich könnte manchmal etwas schneller sein.

Ich wäre gerne spontaner. Manchmal blicke ich mit Wehmut zurück, weil ich mich frage, was ich alles verpasst habe. Spät heisst manchmal ja auch zu spät.

Was hätte ich nicht alles erleben können, wie hätte ich mich nicht ganz anders entwickeln können, wenn ich etwas öfter auf das Gaspedal getreten hätte! Ob ich heute nicht schon viel weiter wäre?

Im letzten Sternenglanz-Beitrag hat Kathrin die Frage gestellt: «Habe ich heute schon gelebt?». Das klingt wichtig und drängend. Was an aufregenden, tollen Sachen haben sich heute an meinem Tag denn schon ereignet? Ich möchte mehr dieses pulsierende Leben erleben. Auch hat Kathrin das Thema Leben mit dem Thema Lieben verknüpft. Leben und Liebe, das sind wohl die beiden grossen Top-Themen, die Top-Projekte, für die es sich zu leben und zu lieben lohnt.

Ich möchte ein gutes menschliches Leben führen und spüren und irgendwann zu mir sagen zu können, ich wäre ein Mensch einer grossen Liebe.

Leben im Hier und Jetzt

Und da merke ich einen Unterschied zwischen dem Leben und der Liebe. Die pure Lust am Leben, die mir keiner nehmen kann, die habe ich im Hier und Jetzt. Ich kann zumindest viel dafür tun:

  • Da drehe ich die Musik richtig laut auf und tanze mit dem Staubsauger ein paar Stunden durchs ganze Haus.
  • Da gehe ich ins Büro und starte irgendein cooles neues Projekt, das mir richtig Freude macht.

Leben geht Hier und Jetzt. Aber beim Lieben brauche ich etwas mehr Zeit.

Langzeitprojekt Liebe

Die Liebe ist da eher ein Langzeitprojekt. Aber das Ziel verfolge ich durchaus. Ich kann mir eigentlich nichts Wichtigeres bis zum Ende meines Lebens vorstellen, als dass man am Ende über mich sagen kann: «Ja, er war wirklich ein Mensch einer grossen Liebe!», oder: «Er hatte in der Tat ein grosses Herz, er war ein grosses Herz in einer grossen Seele!»

Was ich vermeiden möchte, was mir grosse Wehmut verursachen würde, ist, wenn man sagen würde: «Nein, er hat’s verpasst, er hat zu spät geliebt.»

Das dürfte der letzte Satz sein, denn man über mich am Ende dieses Lebens sagen sollte: «Ein Mensch einer grossen Liebe!»

Das dürfte – hoffentlich – auch der erste Satz sein, denn man am Beginn eines jenseitigen Lebens über mich sagen sollte.
Foto von Roman Kraft auf Unsplash
Das dürfte – hoffentlich – auch der erste Satz sein, denn man am Beginn eines jenseitigen Lebens über mich sagen sollte.
Foto von Roman Kraft ↗ auf Unsplash ↗

Drei Schritte für die Liebe

Ich werde mich später einfach überraschen lassen, wie es dann sein wird. Jetzt aber frage ich mich hier: Was könnte mir denn helfen, rechtzeitig zu lieben? In dieser Zeit mehr zu lieben? Damit es nachher nicht zu spät ist.

Ich habe versucht das zu googlen. Dabei bin ich auf ganz viele Seiten gestossen, die mir raten, was ich tun soll, um jemanden nicht mehr zu lieben. Meine Suchbegriffe waren da nicht so eindeutig. Der Algorithmus hat mich komplett missverstanden. Um jemanden nicht mehr zu lieben, sollte ich Distanz schaffen, die Kommunikation beenden und neue Erfahrungen machen.

Nein, das will ich nicht. Ich versuche also das umzukehren, um mehr zu lieben:

1.Nähe schaffen

Dann fange ich an, statt in der Distanz zu bleiben, lieber Nähe zu schaffen.

Wenn ich nah bin zu Menschen in meinem Umfeld, dann merke ich ja, wie ich Menschen mag, wie einige mich mögen, und ob ich mich wohlfühle in der eigenen Haut.

Und wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue, entdecke ich vielleicht andere liebevolle, positive Menschen, und da könnte ein neuer Kontakt und etwas mehr Nähe helfen.

2.Kommunikation intensivieren

Dann fange ich an, statt die Kommunikation zu beenden, lieber diese zu intensivieren.

Mit den Menschen, die ich liebe, will ich Zeit verbringen und mich austauschen, will reden. Eine kurze Meldung hier und da mehr ist Maschinenöl für menschliche Beziehungen, und manchmal darf es davon etwas mehr sein. Und es hilft mir, wenn ich das bewusst pflege mit dem Ziel, mehr zu lieben.

3.Erinnerungen schätzen

Und ich erinnere mich, wie und wo und wen ich in meinem Leben geliebt habe und liebe. Das sind die wirklich wertvollen Lebenserfahrungen. Und wenn ich gut und achtsam von mir selbst lerne, dann werde ich mehr lieben können.

Ich erinnere mich, wie und wo und wen ich in meinem Leben geliebt habe und liebe. Foto von Laura Fuhrman auf Unsplash
Ich erinnere mich, wie und wo und wen ich in meinem Leben geliebt habe und liebe. Foto von Laura Fuhrman ↗ auf Unsplash ↗

Unser Lied endet mit der Bitte an Gott, das Leben zu begleiten mit seiner Hilfe, mit seinem Segen. Und schliesslich heisst es da:

«Erleucht’ mir Leib und Seele ganz, du starker Himmelsglanz.»

Angelus Silesius

Was da dann leuchtet und glänzt, wenn das nicht schlicht und einfach Liebe ist?

Dann ist es mir völlig egal, ob ich hin zu solchem Glanz schnell oder langsam unterwegs bin. Hauptsache, ich muss nicht «zu spät» singen.
Hauptsache ich komme vorwärts, hin zu mehr Himmels-Sternen-Glanz.

Den nächsten Podcast voll mit neuem Sternenglanz hörst du hier ab dem 28. September, dann wieder mit Kathrin Bolt.

Dir alles Gute – und Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.