Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 4 Minuten

#15 Hast du heute schon gelebt?

Nach dem letzten Podcast von Carsten Wolfers weiss ich etwas mehr darüber, wie er seine oft knappe Zeit organisiert – und dabei immer wieder auch hinterfragt: Was mache ich eigentlich mit meiner geschenkten Zeit, die so vergänglich ist? Dabei hat er festgestellt, dass selbst etwas so Leckeres wie eine Pizza nur kurz überlebt. Und jeden Tag gehen so viele kleine Dinge einfach vorbei.

Ich erinnere mich an meine Zeit am Gymnasium, als ich einen Aufsatz schreiben sollte zur Frage: «Hast du heute schon gelebt?!»

Höre diesen Text als Podcast:

Ich habe mit so viel Enthusiasmus das Thema gewählt und dachte, ja genau, das liegt mir am Herzen. Ich möchte leben – und nicht einfach meine Zeit verstreichen lassen und Dinge über mich ergehen lassen. Innerlich hatte ich genau gespürt, was die Frage meint: «Hast du heute schon gelebt?».

Ich weiss noch, wie schwer es mir fiel, dies in Worte zu fassen und konkret werden zu lassen. Der Aufsatz war am Ende einer meiner schlechtesten. Jedenfalls fand dies mein damaliger Deutschlehrer. Doch die Frage ist mir geblieben: «Hast du heute schon gelebt?»

Was würdest du sagen, wenn ich dich jetzt frage: Hast du? Heute? Schon gelebt?

Mehr als überleben

Vielleicht ist es eine Luxusfrage. Eine, die sich nur diejenigen stellen können, die im Grunde alles haben: Essen. Gesundheit. Sicherheit.
Für Menschen, die um ihre Existenz kämpfen müssen, die nicht wissen, ob sie heute etwas zu essen haben oder nicht. Für alle, die in Kriegs- und Krisengebieten leben oder die schwer krank sind, heisst die Frage wohl eher: „Hast du heute überlebt?“

Leben hat zunächst mit Grundbedürfnissen zu tun, die gestillt werden müssen. Diese sind nicht für alle selbstverständlich: Essen. Trinken. Und Schlafen.

Wenn die Grundbedürfnisse gestillt sind, gibt es darüber hinaus die Erfahrung, dass Leben mehr sein kann als Überleben. Dass es verschiedene Qualitäten von Leben gibt.

Eine grosse Überforderung

Das eröffnet öffnet unglaublich viele Möglichkeiten und Chancen, kann aber auch zu Druck und Überforderung führen.

«Du bist deines Glücks Schmied oder Schmiedin!»
«You can get it if you really want!»
«Mach etwas aus dir und deinem Leben!»
«Carpe Diem!»

Das Bild zeigt eine Schmiedin bei ihrer Arbeit. Hinter dem Motivationsspruch «Du bist deines Glücks Schmied» steckt ein grosser Anspruch, vielleicht sogar eine Überforderung?
«Du bist deines Glücks Schmied oder Schmiedin!»
Ein grosser Anspruch! Foto von Malcolm Lightbody ↗ auf Unsplash ↗

Der Anspruch, das Leben nicht nur irgendwie durchzubringen, sondern sinnvoll zu nutzen, jeden Tag zu pflücken, ist gross. Und er führt dazu, dass gerade diejenigen Menschen, die von aussen her gesehen am meisten Möglichkeiten haben, am unglücklichsten sind.

Was Jesus über den Sinn des Lebens sagt

Was also machen wir mit der Frage «Hast du heute schon gelebt?»?
Sollen wir sie ignorieren? Umformulieren?

In etwas frommeren Kreisen fragt man gerne:
Was würde Jesus dazu sagen?

Nun hat man die Frage Jesus in diesem Wortlaut wohl nicht gestellt. Jedenfalls ist es nirgends schriftlich so festgehalten.
Doch es gibt viele Erzählungen von Menschen, die Jesus zum Leben befragen und ihn als Ratgeber kontaktieren.
An einer Stelle fragt beispielsweise jemand: «Welches ist das wichtigste Gebot?»

«In welche Richtung soll mein Leben gehen?» Foto von Jan Huber ↗ auf Unsplash ↗

Wir würden heute vielleicht fragen:
«Was ist das Wichtigste im Leben?»
«Was gibt meinem Leben Sinn?»
«Was soll ich tun mit meinem Leben?»


Jesus antwortet: «Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und mit all deiner Kraft». Das finde ich unglaublich stark.

Und dann sagt er weiter: «Und du sollst deinen Nächsten lieben. So wie dich selbst.»

Für mich ist das eine Schlüsselstelle. Ein Herz-Wort der Bibel. Ich glaube, wenn ich diese Worte verinnerliche, komme ich dem etwas näher, was ich suche.

Die Frage: «Hast du heute schon gelebt?» ist für mich ganz nah bei der Frage: «Hast du heute schon geliebt?».

Mein Ethikprofessor Herr Fischer, den ich im Theologiestudium sehr bewundert habe, hat eine Lektion zum «Geist der Liebe» gehalten, die ich nie vergessen werde.

Seine Theorie war, dass ein Leben dann zum Leben wird, wenn es geliebt wird.
In seiner Vorlesung ging es unter anderem um die Frage, ob eine Schwangerschaft abgebrochen werden darf oder nicht. Dazu wurde die Frage gestellt, wann ein Leben beginnt: Bei der Zeugung? Bei der Geburt? In der 12. Woche?

Herr Fischer sagte eindrücklich:
«Das Leben wird dann zum Leben, wenn es geliebt wird.»
Das hat mich beeindruckt.

Auch wenn es uns vor neue Fragen stellt: Ist ein Leben, das nicht geliebt wird, dann kein Leben, oder kein lebenswertes Leben?

Vielleicht kann ich etwas plakativ sagen:

Wir leben am Leben vorbei, wenn wir es nicht lieben. Wenn wir uns selbst nicht lieben.


Das bedeutet nicht, dass wir alles lieben, was zu unserem Leben gehört. Oder dass alles gut wäre, was wir erleben und tun.

Aber so wie Carsten im letzten Beitrag davon gesprochen hat, dass wir Verantwortung dafür übernehmen können, wie wir unsere Zeit organisieren, glaube ich, können wir auch unsere innere Haltung zu unserer Lebenszeit bewusst steuern.

Gott lieben aus ganzer Kraft und ganzer Seele.
Mich selbst lieben – und andere achten und respektieren.

Das ist eine Entscheidung. Eine innere Haltung, die wir immer wieder neu üben und ausprobieren können.

Lieben trotz «Alles zu viel heute!»

Ich versuche das. Heute. An einem Tag, von dem ich am Morgen schon das Gefühl hatte: «Alles zu viel heute!».

Was immer ich heute in diesem «Alles zu viel» erleben werde – ich möchte dabei lieben. Aus ganzer Seele und mit ganzer Kraft.

Und du? Hast du heute schon gelebt? Und geliebt?
Nein? Was noch nicht ist, kann noch werden 😉.
Ich wünsche dir auf jeden Fall einen lebendigen Tag.

Den nächsten Sternenglanz-Beitrag liest du am 14. September mit Carsten. Bis dann, mach‘s gut und schau gut zur dir!

Portrait Kathrin Bolt

Kathrin Bolt

Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 43-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.