Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#14 Wie organisiere ich meine Zeit?

Zuletzt hat Kathrin den Eindruck erweckt, ich würde mit meiner Zeit so gut umgehen und nicht prokrastinieren. Ich würde jetzt gerne sagen: «Ja, das tue ich eigentlich nie. Ich bin einfach so gut organisiert.»

Aber das wäre Blödsinn. Natürlich schiebe ich manche Dinge vor mir her: zum Beispiel Listen auszufüllen oder Abrechnungen zu schreiben. Die Frage ist aktuell für viele und so spannend:

Wie organisiere ich meine Zeit?
Warum organisiere ich meine Zeit wie?

Der Philosoph Jean-Francois Lyotard meinte, so wie zu Beginn der Moderne das Kapital wichtig war, sei heute am Ende der Moderne die Zeit wichtig. Es reizt mich, nachzudenken, wie ich mit meiner Zeit umgehe.

Höre diesen Text als Podcast:

«Sie haben bestimmt keine Zeit.»

Vor einigen Jahren kam eine alte Dame auf mich zu. Wir unterhielten uns eine Weile, und dann meinte sie, weitergehen zu müssen und sagte: «Herr Wolfers, Sie haben ja bestimmt keine Zeit.» Irgendetwas wollte sie mir eigentlich noch sagen, irgendwo drückte noch der Schuh, aber sie meinte, ich hätte für sie, für ihre kleinen Probleme wohl sicher keine Zeit.

Ich reagierte in der Situation etwas perplex. Ich wusste nicht, womit ich den Eindruck erweckt hatte, ich hätte keine Zeit. Und mir wurde bewusst, wie schwierig, ja kontraproduktiv das ist. Als Seelsorger arbeite ich doch mit Menschen. Meine Arbeit besteht darin, mir für Menschen Zeit zu nehmen. Wie wirkt das erst auf Familie und Freunde, wenn der Eindruck entsteht, ich hätte keine Zeit?

Hat mein Umfeld das Gefühl, ich habe keine Zeit? Foto von Kevin Ku auf Unsplash
Hat mein Umfeld das Gefühl, ich habe keine Zeit? Foto von Kevin Ku ↗ auf Unsplash ↗

Ich musste mir also die Frage stellen, ob ich mich zu oft, zu offen über zu wenig Zeit beschwert habe:

  • Ich kenne Situationen, wo ich meine, einen riesigen Berg von Arbeiten und einen grösseren Berg an Überstunden vor mir herzuschieben, um mir zu sagen: «Ich arbeite viel».
  • Ich kenne Familiensituationen, in denen die Zeitfenster für Qualitätszeit, für Erziehungszeit, für Paarzeit richtig rar sind.
  • Ich kenne Berufssituationen, wo man regelmässig über die viele Arbeit jammern muss, damit die Leistung gesehen und anerkannt wird.

Nachdem ich diese Begegnung mit der alten Dame hatte, wurde ich hellhörig. Ich sorge mich nun eher darum, welche Gespräche ich verhindere, wenn ich den Eindruck erwecke, ich hätte keine Zeit.

Mal unabhängig davon, ob ich wirklich keine Zeit habe oder ob ich meine nur so tun zu müssen: der Eindruck verhindert Gespräche, Kontakte und Gelegenheiten, Kooperationen oder Begegnungen.

Nein, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als wäre ich das Opfer meiner eigenen Zeitplanung. Ich will mir lieber die Verantwortlichkeit für meine Zeitplanung zurückholen. Darum sage ich heute lieber Sachen wie: «Ich nehme mir gerne Zeit für dich» oder «Dafür ist immer Zeit da.»

Es brauchte für mich eine bewusste Entscheidung da gegenzusteuern. Einfach ist das nicht, denn meine Zeit ist in der Tat nicht ewig oder unendlich, und ich habe wirklich noch so viel zu tun. Aber ich möchte nicht diese kleinen Gespräche und Gelegenheiten verpassen, bloss weil ich den Eindruck erwecke, ich könnte nicht Einfluss nehmen, wie ich meine Zeit strukturiere. Ich freue mich meist über die Reaktionen, wenn ich sage: «Ach, dafür nehme ich mir gerne Zeit.»

«Ich arbeite für die Ewigkeit.»

Manchmal gehe ich noch einen Schritt weiter und füge hinzu: «Immerhin, ich arbeite für die Ewigkeit. Ich habe alle Zeit der Welt.»

Da bin ich nicht ganz frei von Provokation, aber ja: Wenn die Zeit die Ewigkeit ist, wenn Ewigkeit nur einer der vielen Namen für Gott ist, dann darf ich davon ausgehen, dass dieser Chef mir alle Zeit gibt, die ich brauche.

«Klein ist der Mensch, der das Vergängliche sucht, gross aber, wer das Ewige im Sinn hat.» Ich arbeite für die Ewigkeit. Foto von Jaël Vallée auf Unsplash
Ich arbeite für die Ewigkeit. Foto von Jaël Vallée ↗ auf Unsplash ↗

Ich arbeite für die Ewigkeit, heisst dann, dass ich mich für etwas einsetze, das grösser ist als ich selbst. Im grossen Raum seines Universums bin ich ein kleines Rädchen im Getriebe.

Der grosse, ewige, unendliche Gott hat ein so ganz anderes Zeitmanagement. Für mein Zeitgefühl mag ich mir da etwas abschauen.

Während ich manchmal denke und bete: «Gott, mach mal schneller, könntest du mir da nicht zeitnah helfen?», begegnet Gott mir mit sehr viel Geduld, Gelassenheit, Grosszügigkeit. Der Mönch Antonius von Padua hat einmal gesagt:

«Klein ist der Mensch, der das Vergängliche sucht, gross aber, wer das Ewige im Sinn hat.»

Nun kommen mir viele Dinge in den Sinn, die vergänglich sind, aber durchaus grossartig:

  • Die Pizza auf meinem Teller ist sehr vergänglich, aber sie schmeckt wunderbar.
  • Ich fühle mich wohl in meiner Kleidung, und wenn ich diese abgetragene Hose wieder mal überziehe, dann sehe ich, wie vergänglich die ist.
  • Meine Arbeit macht mir viel Freude, aber viel davon ist vergänglich.
  • Manche guten Kontakte sind vergänglich, weil wir für gewisse Zeit den gleichen Weg gingen, um uns später unterschiedlichen Richtungen zuzuwenden.

Ich denke, es geht Antonius nicht darum, die Schönheit und Nützlichkeit des Vergänglichen kleinzureden, aber doch realistisch zu sehen, dass Vergängliches vergeht. Und dann tut es gut, wenn ich bei all den tollen vergänglichen Sachen auch nach dem Ewigen suche, etwas das bleibt, irgendwas, das bleibt ↗. Das gibt meinem Zeitmanagement eine Weite, eine Tiefe.

Das gibt mir auch ein Kriterium an die Hand, das mir in meinen Entscheidungen hilft: Wie viel an Zeit und Kraft und Energie möchte ich dort einsetzen, obwohl das nicht für die Ewigkeit ist, und wie viel möchte ich lieber einsetzen für das, was bleibt? Damit verändere ich meine Einstellung zur Zeit und schule mein Mindset, um mich stärker auf das hin zu orientieren, was wirklich von Dauer ist.

Unendliche Spiele

Ich bin ein Fan von Simon Sinek, einem Unternehmensberater. Er hat 2019 ein Buch herausgebracht mit dem Titel Das unendliche Spiel. Darin greift er eine Idee von James Carses auf, nämlich endliche und unendliche Spiele zu unterscheiden. Simon wendet dies auf den Arbeits- und Wirtschaftsbereich an.

Es geht dabei um Folgendes: Endliche Spiele folgen klaren Regeln, einem abgesteckten Zeitrahmen, und meistens geht es darum, dass der eine gewinnt, der andere verliert. Mit Strategie, Ehrgeiz, Cleverness versuche ich, schneller oder besser zu sein als der andere.

Demgegenüber gibt es auch unendliche Spiele. Sie folgen keinen festen Regeln oder Strukturen, sondern man spielt gemeinsam immer weiter. Beispiele sind Wirtschaft, Politik, das Leben an sich, die Freundschaft.

In unendlichen Spielen hilft man sich gegenseitig, um zusammen einen guten Weg für alle zu finden. Es geht nicht um ein baldiges Gewinnen oder Verlieren. Wir spielen, um zu spielen. Das unendliche Spiel wird für sich selbst gespielt. Es geht nicht mehr um kurzfristige Punktsiege, sondern um langfristigen Erfolg.

Sinek unterstreicht, dass das eine andere Haltung ist, ein anderes Mindset:

  • Wenn wir unendliche Spiele spielen, dann gewinnen wir an Innovation und erfinden Neues.
  • Wir inspirieren einander, weil wir uns an Gedanken und Ideen teilhaben lassen und uns gegenseitig weiterbringen.
  • Wir werden widerständiger, weil ein Verlust uns nicht umhaut, sondern uns nach Verbesserung suchen lässt.

Simon Sinek wirbt also dafür, statt an einem endlichen Spiel besser am unendlichen Spiel teilzunehmen.

Ewig und unendlich

Ich frage mich jetzt, ob Simon und Antonius eigentlich etwas sehr Ähnliches sagen:

«Richte dich aus auf Ewiges, Unendliches! Wie du dir deine Zeit einteilst, entscheidet mit, wie und wofür du dein Leben verbringst. Darum suche ‒ bei all dem Zeug, dass auch deine Tage füllt ‒ immer auch das Ewige und Unendliche, weil das dein Leben letztlich wirklich erfüllt.»

Das wäre eine wunderbare Antwort gewesen auf die Frage, die mir jene alte Dame damals stellte, aber leider kam ich dafür zu spät.

Herzlichen Dank heute für deine Zeit, die du so geduldig, so grosszügig und hoffentlich auch gelassen mit Sternenglanz verbracht hast.

Die nächste Folge Sternenglanz kommt am 31. August, dann wieder mit Kathrin Bolt.

Dir alles Gute – und Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.