Ich verrate dir jetzt, wann und wie ich diesen Podcast aufnehme.
Dass ich mir eine Wolldecke über den Kopf stülpe, um dem Hall zu trotzen, habe ich ja schon mehrfach erwähnt.
Aber was ich bisher verschwiegen habe, ist der Zeitpunkt meiner Aufnahme. Es ist nämlich immer derselbe. Auch wenn ich jeden Monat neu aufnehme. Es ist immer der letztmögliche Moment. Kurz vor Abgabeschluss. Auf den letzten Drücker. Und das ärgert mich!
Höre diesen Text über Prokrastination als Podcast:
Jedes Mal nehme ich mir vor, früher dran zu sein. So wie Carsten, der kann das super! Kaum ist ein Podcast erschienen, wird der nächste geschrieben. Da kann ich nur staunen!
Ich bin leider eher der Typ, der alles aufschiebt und erst dann aktiv wird, wenn die Zeit drängt – Obschon ich mir wieder und wieder vornehme, früher anzufangen und alles sofort zu erledigen.
Für dieses Phänomen gibt es ein sehr schönes Fremdwort.
Seit ich das kenne, finde ich nicht mehr ganz so schlimm:
Prokrastination heisst das und bedeutet: Aufschieben und Verzögern.
Viele Menschen prokrastinieren regelmässig. Besonders dann, wenn sie Dinge erledigen müssen, die ihnen schwerfallen oder sie einfach keine Lust haben.
Sollte ich zum Beispiel – wie heute – das Skript für meinen Podcast schreiben. Oder endlich meine Steuererklärung machen. Oder ein unangenehmes Telefongespräch führen – lenke ich mich zunächst ab.
Erst das Büro aufräumen…
Noch ein paar Mails beantworten…
Die Blumen giessen…
Facebook checken…
Nur noch schnell Kaffee holen…
Und während ich diese scheinbaren Nebensächlichkeiten mache, ergeben sich neue kleine Aufgaben, sodass ich die grössere mit gutem Gefühl weiter aufschieben kann.
Aber irgendwann holt es mich ein! Und ganz schlimm ist es dann, wenn ich nicht nur ETWAS vor mich hergeschoben habe. Sondern mehrere Dinge parallel!
So ergeht es mir gerade. Zwei Tage, bevor meine Sommerferien anfangen.
Der Pendenzenberg ist gross – und bevor ich abreise, möchte ich ALLES noch erledigt haben.
«Hab ein bisschen Mut zur Lücke», hat mir unsere Podcast-Produzentin Ines beim letzten Gespräch lachend zugerufen.
Vielleicht muss das ja gar nicht alles gemacht sein vor den Ferien?
Vieles erledigt sich von selbst. Oder kann warten.
Mut zur Lücke – das klingt gut! Das hat mich sofort motiviert und entlastet.
Am liebsten wäre ich gleich nach Hause gegangen um mit Packen anzufangen. Das schiebe ich nämlich auch immer gern heraus.
Aber so einfach geht das nicht… mindestens den Podcast, den muss ich noch fertig stellen.
Und die Abwesenheitsnotiz.
Und dann kleben doch an meinem Bildschirm noch ein paar Post-it-Zettel mit Stichworten drauf. Dringend zu erledigen!
Wenn ich jetzt alles stehen und liegen lasse, dann könnte ich doch das eine oder andere verpasst haben, was mir wichtig ist.
Mut zur Lücke – in drei Schritten
Wie also komme ich zu dieser vielversprechenden Lücke, zu der Ines mich ermutigt? Ich versuche es mit drei Schritten:
1. Gnädig mit sich selbst sein
Erstens: Ich klopfe mir liebevoll auf die Schultern und lächle:
Soso, du hast also mal wieder alles auf den letzten Moment hinausgeschoben. Die gute Nachricht: Die Welt geht davon nicht unter! Das meiste, was du denkst, dass du es noch erledigen solltest, ist nicht existenziell oder lebensbedrohlich.
2. Ehrlich Überblick verschaffen
Zweiter Schritt: Ich schau ehrlich hin. Zu meinen Post-it-Zetteln am Bildschirm:
Von all den Dingen, die ich mir noch vorgenommen habe.: Was davon muss vor den Ferien noch erledigt sein?
Was steht gross da und lässt sich in weniger als 10 Min erledigen?
Was kann ich weglassen oder verschieben?
3. Fokussieren und anfangen
Dritter und wichtigster Schritt: Ich fang wirklich an! Fokussiert und konzentriert.
Als geübte Prokrastiniererin bin ich unglaublich gut darin, Pendenzen aufzuschreiben und hin und her zu schieben und darüber zu jammern.
Also: Handy aus, Türe zu und los geht’s.
Ich nehme an, du verstehst, dass ich somit jetzt auch aufhöre mit diesem Podcast, weil ich ja – wie gesagt – noch einige andere Dinge erledigen und abschliessen möchte.
Wobei. Als letzten Gedanken:
Vielleicht hilft es, wenn ich jetzt schon akzeptiere, dass ich am Ende nicht fertig sein werde. Weil wir nie ganz fertig werden. Das gehört zu unserem unperfekten und dafür so kreativen Leben.
Kaum haben wir etwas abgeschlossen, fängt etwas Neues an.
Ein Schritt nach dem anderen
Und da hilft nur Beppo, der Strassenfeger, aus dem Buch von Momo.
Der eine unglaublich lange Strasse vor sich hat, die er putzen muss. Wenn er nach vorne schaut und die lange Strasse vor sich sieht, denkt er: «Nie und nimmer werde ich das alles schaffen.»
Also sagt er sich: «Ich mach einfach einen Besenstrich. Denn mehr kann ich ja nicht gleichzeitig.» Einen Besenstrich. Und dann den nächsten. Und dann noch einen.
«Und plötzlich sehe ich, dass ich schon weit gekommen bin! Und irgendwann», sagt Beppo, «habe ich die ganze Strasse geschafft!»
Mal sehen, wie viele Pendenzen-Besenstriche ich vor meinen Ferien noch schaffe. Für den verbleibenden Rest bewahre ich den Mut zur Lücke.
Denn eines habe ich mir wirklich vorgenommen: Mit in die Ferien nehme ich meine Pendenzenliste nicht. Die kann hier warten, bis ich wiederkomme.
Soviel für heute… Den nächsten Podcast von Carsten hörst du am 17. August. Bis dann, mach‘s gut und schau gut zur dir!
Kathrin Bolt
Kathrin schreibt und spricht leidenschaftlich gerne. Die 42-Jährige lebt mit ihrer Familie in St.Gallen und arbeitet als Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Laurenzenkirche. In ihrer Freizeit spielt sie Theater.