Podcast Sternenglanz St.Gallen

Lesedauer: 5 Minuten

#10 Leis + laut, Ruhe + Sturm

Kathrins Einstimmung für den Sommer kam gerade recht. Ich bin wieder so weit, dass ich etwas mehr Ruhe ganz gut gebrauchen könnte. Ruhe wäre meine Rettung. Das entspricht mir. Wenn eine Zeit lang viel los gewesen ist, dann wünsche ich mir einen leisen Ort, eine Situation, ein wenig Zeit, wo ich still bei mir sein kann.

Wenn eine Zeit lang viel los gewesen ist, dann wünsche ich mir einen leisen Ort, Ruhe, eine Situation, ein wenig Zeit, wo ich still bei mir sein kann.
Auf der Suche nach der Ruhe verstecke ich mich gern hinter Büchern. Foto: Carsten Wolfers

Ich greife den Faden also auf, und schau mal, was ich damit anfangen kann mit meinem Wunsch nach Ruhe.

Höre diesen Text als Podcast:

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum ich es gerne mal leise habe:

  • Ich brauche die Ruhe als Gegenpol zu dem Chaos, das mich umgibt.
  • Ich muss mich erholen, von all der Arbeit.
  • Ich möchte geniessen, nachdem ich mich angestrengt habe.
  • Ich sollte mal wieder ordentlich ausschlafen, damit ich morgens wieder fit bin.
  • Nur mit einer leisen Atmosphäre um mich herum kann ich feine Dinge denken.

Allerdings erlebe ich meine Sehnsucht nach Ruhe mit einer gewissen Ambivalenz, mit Zwiespältigkeit.

Gerade weil ich eher ein Mensch der leisen Töne bin, weil ich Ruhe mag, weil ich gerne leise rede, darum musste ich lernen auch mal laut zu werden. Darum regt sich in mir Widerstand, wenn es irgendwo zu leise oder eben einfach zu ruhig sein soll.

Beispiel 1: Ruhe in der Arbeit

Letzte Woche war ich in der Schule, in einer 3. Klasse voll von lebendigen, quirligen, aufgeweckten Kindern. Ich wollte bloss den Stoff, der noch durchzunehmen war, durchpauken.

Das hat nicht funktioniert. Die Kinder mussten all zwei Minuten fragen: «Können wir nicht nach draussen gehen?» oder «Können wir nicht mal ein Spiel machen?»

Zugegeben, es war bei dieser Frühsommerhitze auch schon recht heiss und stickig im Klassenzimmer. Ich wollte Ruhe und Konzentration, aber die Kinder konnten mit der Stille nur wenig anfangen.

Beispiel 2: Ruhe in den Familienferien

Im Sommerurlaub ergeht es uns als Familie oft genauso: Als Eltern wollen wir ausruhen, die Sonne geniessen, langsam spazieren gehen und ein paar Bücher im Schatten lesen. Aber zusammen als Familie mit Kindern, mit Jugendlichen funktioniert das selten. Der eine will einen Ausflug, die andere will ein Spiel. Die eine will noch möglichst weit weg, der andere möchte noch möglichst weit in die Höhe. Alles ist besser als diese ruhige langweilige Stille. Das ist also in unserem Familiensystem ein beständiges Ausgleichen von Bedürfnissen.

Ferien am überfüllten Strand: Keine Ruhe in Sicht! Als Eltern wollen wir ausruhen, die Sonne geniessen, langsam spazieren gehen und ein paar Bücher im Schatten lesen. Aber zusammen als Familie mit Kindern, mit Jugendlichen funktioniert das selten. Foto von Federico Giampieri auf Unsplash
Ferien am überfüllten Strand: Oft alles andere als erholsam. Foto von Federico Giampieri ↗ auf Unsplash ↗

Früher, als die Kinder klein waren, ging es noch möglichst lange, irgendwo eine Ferienwohnung zu buchen. Später wurden daraus kurze Städtetouren, nur für ein paar Tage und dafür lieber eine Woche daheim. Diesen Sommer sieht es so aus, dass unsere Jugendlichen je ihre eigene Reise machen und wir als Eltern bleiben zu Hause. Das ist dann ein beständiges Abtasten und Aushandeln, was gemeinsames Programm ist oder wer welches Sonderprogramm macht.

Beispiel 3: Ruhe unterwegs im ÖV

Wenn ich im Zug unterwegs bin, merke ich diese Ambivalenz bei mir selbst. Ich will meine Ruhe vor den Durchsagen und vor denen, die so laut durchs Abteil telefonieren, dass wir alle etwas davon haben. Viele tragen ja jetzt im ÖV Kopfhörer und hören gar nicht mehr, wie laut sie die Nase hochziehen oder aufstossen oder Schlimmeres.

Ich will das nicht wirklich hören. Selbst wenn ich diese neuen Kopfhörer benutze, die jegliche Geräusche um mich herum abschalten: Dann geniesse ich ja nicht Ruhe und Stille, sondern ich höre meine Musik oder mal wieder einen Podcast, der mir ein paar glanzvolle Gedanken mit auf meinen Weg gibt.

Ich selber schalte den Lärm um mich herum ab, um mich meinem eigenen Lärm zu widmen.

Vor einigen Jahren habe ich eine Weiterbildung in Gestaltpädagogik besucht, drüben im Bildungshaus Batschuns/Vorarlberg. Zum Einstieg in eine Arbeitseinheit bin ich eher gewohnt, dass man vielleicht einen schönen Text vorliest, dass eine Kerze bedeutungsvoll entzündet wird, dass wir uns besinnen und den Blick nach innen richten, wie es uns so geht.

Nun, entgegen dieser Gewohnheit habe ich bei jener Weiterbildung mal gerade das Gegenteil erlebt. Zum Einstieg in eine Arbeitseinheit wurden Körperübungen gemacht, da wurde ein Volkstanz ausprobiert, da wurden Bäume umarmt und jedes Mal wieder neu so ein aktives Zeug.

Welcher Einstieg ist gut? Ein Einstieg, der so langweilig ist, dass ich dabei fast einschlafe, oder ein Einstieg, der alle Lebensgeister in Seele und Körper aufrüttelt und weckt?

Ich befürchte, in den Kirchen beherrschen wir gut die Kunst der salbungsvollen, einlullenden Einstimmungen, weniger die Weckrufe des Aufrüttelns oder der Appelle nach Umkehr.

Was spricht für das Laute?

Genauso, wie es Gründe für das Leise gibt, gibt es Gründe für das Laute. Ich will auch Lärm und Lautstärke, gelegentlich. Ich will auch Spass und Unterhaltung, ich will Schwung und Freude. Momentan höre ich im Radio ständig Berichte über die verschiedenen Festivals: das OpenAir in St. Gallen ↗, das in Frauenfeld ↗, in Zürich ↗, in Wildhaus ↗.

  • Wenn ich auch kein Fan von OpenAir Festivals bin, so kann ich nachvollziehen, wie toll es ist, diese laut und wild zu erleben.
  • Habe ich nicht meine Freude daran, wenn es bei einer Gartenparty auch mal etwas lustiger zugeht?
  • Drehe ich nicht selbst die Musik ordentlich auf, wenn ich am Donnerstagvormittag den Hausputz erledige? Oft höre ich laut die Red Hot Chilli Peppers, wenn ich eine Predigt oder einen Vortrag vorbereite oder einen Beitrag für einen Podcast.

Es darf manchmal etwas aufregender, aufputschender sein. Du hörst ja auch nicht Mozart während deines Workouts.

Was hilft?

Spür also den Ambivalenzen nach!

Schau genau und ehrlich auf die Bedürfnisse!

Verschiedenes hat seine Berechtigung. Gleiche die Balance in deinen Systemen aus, in deinem Umfeld, aber auch in dir selbst. Was wird gerade gebraucht? Welches Ziel will ich wirklich erreichen?

Ich merke, wie spannend es ist, mich selbst ein wenig unter die Lupe zu nehmen, zu schauen, was ich wirklich brauche, persönlich, individuell.

Es ist faszinierend etwas Neues, etwas Anderes auszuprobieren, dass ich nicht bloss bleibe, wie ich bin.

Es ist spannend, die eigene Balance von leise und laut, von Ruhe und Sturm auszuloten.

In der Bibel gibt es dieses alte Buch des Kohelet, des Predigers, und der ist ein Meister der Balance. Da heisst es:

«Alles hat seine Zeit,
eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben,
eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ernten,
eine Zeit zum Niederreissen und eine Zeit zum Bauen,
eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen,
eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz.»

«Es gibt eine Zeit für das Leise und eine Zeit für das Laute. Eine Zeit für die Ruhe und eine für den Sturm.
Es soll eine Zeit geben für das Ausschlafen
und für ausgiebige Gartenpartys bis weit in die Nacht hinein,
eine Zeit für Musik sanft wie das Wasser im Kanal
und eine Zeit für Musik, dass der Boden im Sittertal bebt.
Es gibt eine Zeit für heissen Tee und eine Zeit für gekühltes Bier.
Es gibt eine Zeit, um aus dem Hamsterrad auszusteigen
und eine Zeit, um in das Hamsterrad einzusteigen.
Alles hat seine Zeit.»
Eine Zeit für das Leise und eine Zeit für das Laute.
Foto von John Thomas ↗ auf Unsplash ↗

Für diesen Sommer könnte das so klingen:

«Es gibt eine Zeit für das Leise und eine Zeit für das Laute.
Es soll eine Zeit geben für das Ausschlafen
und für ausgiebige Gartenpartys bis weit in die Nacht hinein,
eine Zeit für Musik sanft wie das Wasser im Kanal
und eine Zeit für Musik, dass der Boden im Sittertal bebt.
Es gibt eine Zeit für heissen Tee und eine Zeit für gekühltes Bier.
Es gibt eine Zeit, um aus dem Hamsterrad auszusteigen
und eine Zeit, um in das Hamsterrad einzusteigen.
Alles hat seine Zeit.»

In diesem Sinne wünsche ich eine gute Balance, ein gutes Auskommen miteinander, bei all den verschiedenen Bedürfnissen, die uns umtreiben und die sich in uns herumtreiben. Dir einen guten, leisen wie lauten Sommer.

Danke für das Zuhören. Die nächste Folge von Kathrin kannst du hier hören am 6. Juli.

Dir alles Gute – und Gottes Segen!

Portrait Carstel Wolfers

Carsten
Wolfers

Carsten Wolfers ist leidenschaftlicher Podcaster und Hobby-Musiker. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie im Rheintal und arbeitet als Diakon für die römisch-katholische Kirche in Sevelen. In seiner Freizeit philosophiert er gerne über die grossen Fragen des Lebens.